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Montag, 17. Februar 2025

Johann Wolfgang Goethe: Reineke Fuchs mit Illustrationen von Allart van Everdingen, 2. Teil

 Fünfter Gesang


 Da fand ich köstliche Sachen,
  Feinen Silbers genug und roten Goldes! Wahrhaftig,
  Auch der älteste hier hat nie so vieles gesehen.
  Und ich machte mich dran mit meinem Weibe: wir trugen,
  Schleppten bei Tag und bei Nacht; uns fehlten Karren und Wagen;
  Viele Mühe kostet' es uns und manche Beschwernis.
  Treulich hielt Frau Ermelyn aus; so hatten wir endlich
  Die Kleinode hinweg zu einer Stätte getragen,
  Die uns gelegener schien. Indessen hielt sich mein Vater
  Täglich mit jenen zusammen, die unsern König verrieten.
  Was sie beschlossen, das werdet Ihr hören und werdet erschrecken.



 Endlich kam der Sommer ins Land; zu seinen Gesellen
  Kehrte mein Vater zurück. Da hatt er von Sorgen und Nöten
  Und von Angst zu erzählen, besonders, wie er beinahe
  Vor den hohen Burgen in Sachsen sein Leben verloren,
  Wo ihn Jäger mit Pferden und Hunden alltäglich verfolgten,
  Daß er knapp und mit Not mit heilem Pelze davonkam.



  König und Königin hatten indes, den Schatz zu gewinnen,
  Große Begierde gefühlt; sie traten seitwärts und riefen
  Reineken, ihn besonders zu sprechen, und fragten behende:
  Saget an, wo habt Ihr den Schatz? Wir möchten es wissen.
  Reineke ließ sich dagegen vernehmen: Was könnt es mir helfen,
  Zeigt ich die herrlichen Güter dem Könige, der mich verurteilt?
  Glaubet er meinen Feinden doch mehr, den Dieben und Mördern,
  Die Euch mit Lügen beschweren, mein Leben mir abzugewinnen.

  Nein, versetzte die Königin: nein! so soll es nicht werden!
  Leben läßt Euch mein Herr, und das Vergangne vergißt er.
  Er bezwingt sich und zürnet nicht mehr. Doch möget Ihr künftig
  Klüger handeln und treu und gewärtig dem Könige bleiben.



Sechster Gesang


 So gelangte Reineke wieder zur Gnade des Königs.
  Und es trat der König hervor auf erhabene Stätte,
  Sprach vom Steine herab und hieß die sämtlichen Tiere
  Stille schweigen; sie sollten ins Gras nach Stand und Geburt sich
  Niederlassen. Und Reineke stand an der Königin Seite;
  Aber der König begann mit großem Bedachte zu sprechen:


Aber der König begann mit großem Bedachte zu sprechen:

  Schweiget und höret mich an, zusammen Vögel und Tiere,
  Arm' und Reiche, höret mich an, ihr Großen und Kleinen,
  Meine Baronen und meine Genossen des Hofes und Hauses!
  Reineke steht hier in meiner Gewalt; man dachte vor kurzem,
  Ihn zu hängen, doch hat er bei Hofe so manches Geheimnis
  Dargetan, daß ich ihm glaube und wohlbedächtlich die Huld ihm
  Wieder schenke. So hat auch die Königin, meine Gemahlin,
  Sehr gebeten für ihn, so daß ich ihm günstig geworden,
  Mich ihm völlig versöhnet und Leib und Leben und Güter
  Frei ihm gegeben.



  An den vorderen Füßen verlor Herr Isegrim also
  Seine Schuhe bis an die Knorren; desgleichen verschonte
  Man Frau Gieremund nicht, sie mußte die hintersten lassen.

  So verloren sie beide die Haut und Klauen der Füße,
  Lagen erbärmlich mit Braunen zusammen und dachten zu sterben;
  Aber der Heuchler hatte die Schuh und das Ränzel gewonnen,
  Trat herzu und spottete noch besonders der Wölfin:
  Liebe, Gute! sagt' er zu ihr: da sehet, wie zierlich
  Eure Schuhe mir stehn, ich hoffe, sie sollen auch dauern.



 Und es hatte der König den Widder zu seinem Kaplane;
  Alle geistlichen Dinge besorgt er, es braucht ihn der König
  Auch zum Schreiber, man nennt ihn Bellyn. Da ließ er ihn rufen,
  Sagte: Leset sogleich mir etliche heilige Worte
  Über Reineken hier, ihn auf die Reise zu segnen,
  Die er vorhat; er gehet nach Rom und über das Wasser.



 Beide gingen mit ihm zu seiner Wohnung und sahen
  Malepartus, die Burg, und Reineke sagte zum Widder:
  Bleibet hieraußen, Bellyn, und laßt die Gräser und Kräuter
  Nach Belieben Euch schmecken; es bringen diese Gebirge
  Manche Gewächse hervor, gesund und guten Geschmackes.
  Lampen nehm ich mit mir; doch bittet ihn, daß er mein Weib mir
  Trösten möge, die schon sich betrübt; und wird sie vernehmen,
  Daß ich nach Rom als Pilger verreise, so wird sie verzweifeln.



 Und er sagte, wie er herauskam: Hänget das Ränzel
  Nur um den Hals und laßt Euch, mein Neffe, nicht etwa gelüsten,
  In die Briefe zu sehen; es wäre schädliche Neugier:
  Denn ich habe sie wohl verwahrt, so müßt Ihr sie lassen.
  Selbst das Ränzel öffnet mir nicht! Ich habe den Knoten
  Künstlich geknüpft, ich pflege das so in wichtigen Dingen
  Zwischen dem König und mir; und findet der König die Riemen
  So verschlungen, wie er gewohnt ist, so werdet Ihr Gnade
  Und Geschenke verdienen als zuverlässiger Bote.



  Als nun Bokert den Knoten mit Hinze, seinem Gesellen,
  Aufgelöset, zog er das Haupt des ermordeten Hasen
  Mit Erstaunen hervor und rief. Das heiß ich mir Briefe!
  Seltsam genug! Wer hat sie geschrieben? Wer kann es erklären?
  Dies ist Lampens Kopf, es wird ihn niemand verkennen.

  Und es erschraken König und Königin. Aber der König
  Senkte sein Haupt und sprach: O Reineke! hätt ich dich wieder!



 Und es eilte Lupardus, bis er die beiden Gebundnen,
  Braun und Isegrim, fand. Sie wurden gelöset; da sprach er:
  Guten Trost vernehmet von mir! Ich bringe des Königs
  Festen Frieden und freies Geleit. Versteht mich, ihr Herren:
  Hat der König euch übels getan, so ist es ihm selber
  Leid, er läßt es euch sagen und wünscht euch beide zufrieden;
  Und zur Sühne sollt ihr Bellyn mit seinem Geschlechte,
  Ja, mit allen Verwandten auf ewige Zeiten empfahen.


Siebenter Gesang



 Und nun sah man den Hof gar herrlich bestellt und bereitet,
  Manche Ritter kamen dahin; den sämtlichen Tieren
  Folgten unzählige Vögel, und alle zusammen verehrten
  Braun und Isegrim hoch, die ihrer Leiden vergaßen.
  Da ergötzte sich festlich die beste Gesellschaft, die jemals
  Nur beisammen gewesen; Trompeten und Pauken erklangen,
  Und den Hoftanz führte man auf mit guten Manieren.
  Überflüssig war alles bereitet, was jeder begehrte.
  Boten auf Boten gingen ins Land und luden die Gäste,
  Vögel und Tiere machten sich auf, sie kamen zu Paaren,
  Reiseten hin bei Tag und bei Nacht und eilten zu kommen.



  Und er endigte kaum, da kam die gesprächige Krähe,
  Merkenau, sagte: Würdiger Herr und gnädiger König!
  Traurige Märe bring ich vor Euch, ich bin nicht imstande,
  Viel zu reden vor Jammer und Angst, ich fürchte, das bricht mir
  Noch das Herz: so jämmerlich Ding begegnet' mir heute
  Scharfenebbe, mein Weib, und ich, wir gingen zusammen
  Heute früh, und Reineke lag für tot auf der Heide,
  Beide Augen im Kopfe verkehrt, es hing ihm die Zunge
  Weit zum offenen Munde heraus. Da fing ich vor Schrecken
  Laut an zu schrein. Er regte sich nicht, ich schrie und beklagt ihn,
  Rief. O weh mir! und Ach! und wiederholte die Klage:
  Ach! er ist tot! wie dauert er mich! wie bin ich bekümmert!



 Isegrimen und Braunen behagte die Rede des Königs.
  Werden wir doch am Ende gerochen! so dachten sie beide.
  Aber sie trauten sich nicht zu reden, sie sahen, der König
  War verstörten Gemüts und zornig über die Maßen.
  Und die Königin sagte zuletzt: Ihr solltet so heftig,
  Gnädiger Herr, nicht zürnen, so leicht nicht schwören; es leidet
  Euer Ansehn dadurch und Eurer Worte Bedeutung.



  So erreicht' er das Schloß, und Reineken fand er im Freien
  Sitzen. Er hatte sich erst zwei junge Tauben gefangen;
  Aus dem Neste wagten sie sich, den Flug zu versuchen,
  Aber die Federn waren zu kurz; sie fielen zu Boden,
  Nicht imstande, sich wieder zu heben, und Reineke griff sie,
  Denn oft ging er umher, zu jagen. Da sah er von weiten
  Grimbart kommen und wartete sein; er grüßt' ihn und sagte:
  Seid mir, Neffe, willkommen vor allen meines Geschlechtes!
  Warum lauft Ihr so sehr! Ihr keichet! bringt Ihr was Neues?

Achter Gesang


  Und er ging und fragte die Frau: Wie teuer das Fohlen?
  Macht es billig! Sie sagte darauf: Ihr dürft nur die Summe
  Lesen, sie stehet geschrieben an meinem hinteren Fuße.
  Laßt mich sehen! versetzte der Wolf. Sie sagte: Das tu ich!
  Und sie hub den Fuß empor aus dem Grase, der war erst
  Mit sechs Nägeln beschlagen; sie schlug gar richtig und fehlte
  Nicht ein Härchen, sie traf ihm den Kopf, er stürzte zur Erden,
  Lag betäubt wie tot. Sie aber eilte von dannen,
  Was sie konnte. So lag er verwundet, es dauerte lange.

Neunter Gesang


 Mächtiger König, edelster Fürst! so ließ er sich hören:
  Meint Ihr, ich habe den Tod verdient, so habt Ihr die Sache
  Nicht von der rechten Seite betrachtet; drum bitt ich, Ihr wollet
  Erst mich hören. Ich habe ja sonst Euch nützlich geraten,
  In der Not bin ich bei Euch geblieben, wenn etliche wichen,
  Die sich zwischen uns beide nun stellen zu meinem Verderben
  Und die Gelegenheit nützen, wenn ich entfernt bin. Ihr möget,
  Edler König, hab ich gesprochen, die Sache dann schlichten;
  Werd ich schuldig befunden, so muß ich es freilich ertragen.



 Denn vorgestern am Morgen in aller Frühe begegnet'
  Mir das Kaninchen und grüßte mich schön; ich hatte soeben
  Vor mein Schloß mich gestellt und las die Gebete des Morgens.
  Und er zeigte mir an, er gehe nach Hofe; da sagt ich:
  Gott begleit Euch! Er klagte darauf. Wie hungrig und müde
  Bin ich geworden! Da fragt ich ihn freundlich: Begehrt Ihr zu essen?

Zehnter Gesang


  O mein König! sagte darauf der listige Redner:
  Laßt mich, edelster Fürst, vor meinen Freunden erzählen,
  Was Euch alles von mir an köstlichen Dingen bestimmt war.
  Habt Ihr sie gleich nicht erhalten, so war mein Wille doch löblich.
  Sage nur an, versetzte der König: und kürze die Worte.



 Ich will die Geschichten
  Kürzlich erzählen. Die erste war von dem neidischen Pferde:
  Um die Wette gedacht es mit einem Hirsche zu laufen,
  Aber hinter ihm blieb es zurück, das schmerzte gewaltig;
  Und es eilte darauf, mit einem Hirten zu reden,...



Das will ich wohl wagen!
  Sagte der Hirt und setzte sich auf, sie eilten von dannen.
  Und sie erblickten den Hirsch in kurzem, folgten behende
  Seiner Spur und jagten ihm nach. Er hatte den Vorsprung,...



  Als er so sprach, kam eben sein Herr die Straße gegangen;
  Da erhub der Esel den Schwanz und bäumte sich springend
  Über den Herren und schrie und sang und plärrte gewaltig,
  Leckt' ihm den Bart und wollte nach Art und Weise des Hundes
  An die Wange sich schmiegen und stieß ihm einige Beulen.
  Ängstlich entsprang ihm der Herr und rief. O! fangt mir den Esel,
  Schlagt ihn tot! Es kamen die Knechte, da regnet' es Prügel,
  Nach dem Stalle trieb man ihn fort: da blieb er ein Esel.



Und wie beide heilig geschworen, in allen Gefahren
  Tapfer zusammenzuhalten und jede Beute zu teilen.
  Als sie nun vorwärtszogen, bemerkten sie Jäger und Hunde
  Nicht gar ferne vom Wege; da sagte Hinze, der Kater:
  Guter Rat scheint teuer zu werden! Mein Alter versetzte:
  Wunderlich sieht es wohl aus, doch hab ich mit herrlichem Rate
  Meinen Sack noch gefüllt, und wir gedenken des Eides,
  Halten wacker zusammen, das bleibt vor allem das erste.
  Hinze sagte dagegen: Es gehe, wie es auch wolle,
  Bleibt mir doch ein Mittel bekannt, das denk ich zu brauchen.
  Und so sprang er behend auf einen Baum, sich zu retten
  Vor der Hunde Gewalt, und so verließ er den Oheim.



 Und es kam ihm ein spitziges Bein die Quer in den Kragen;
  Ängstlich stellt' er sich an, es war ihm übel geraten.
  Boten auf Boten sendet' er fort, die ärzte zu rufen;
  Niemand vermochte zu helfen, wiewohl er große Belohnung
  Allen geboten. Da meldete sich am Ende der Kranich,
  Mit dem roten Barett auf dem Haupt. Ihm flehte der Kranke:
  Doktor, helft mir geschwind von diesen Nöten! ich geb Euch,
  Bringt Ihr den Knochen heraus, soviel Ihr immer begehret.

  Also glaubte der Kranich den Worten und steckte den Schnabel
  Mit dem Haupt in den Rachen des Wolfes und holte den Knochen.


Elfter Gesang



 So hat er mir immer,
  Meinem Weibe noch mehr, empfindliche Schande bereitet.
  So bewog er sie einst, in einem Teiche zu waten
  Durch den Morast und hatte versprochen, sie solle des Tages
  Viele Fische gewinnen; sie habe den Schwanz nur ins Wasser
  Einzutauchen und hängen zu lassen: es würden die Fische
  Fest sich beißen, sie könne selbviert nicht alle verzehren.
  Watend kam sie darauf und schwimmend gegen das Ende,
  Gegen den Zapfen; da hatte das Wasser sich tiefer gesammelt,
  Und er hieß sie den Schwanz ins Wasser hängen. Die Kälte
  Gegen Abend war groß, und grimmig begann es zu frieren,
  Daß sie fast nicht länger sich hielt; so war auch in kurzem
  Ihr der Schwanz ins Eis gefroren, sie konnt ihn nicht regen,
  Glaubte, die Fische wären so schwer, es wäre gelungen.



 Denn zwei Eimer hingen daran, Ihr hattet in einen,
  Weiß ich, warum? Euch gesetzt und wart herniedergefahren;
  Nun vermochtet Ihr nicht, Euch selber wieder zu heben,
  Und Ihr klagtet gewaltig. Des Morgens kam ich zum Brunnen,
  Fragte: Wer bracht Euch herein? Ihr sagtet: Kommt Ihr doch eben,
  Liebe Gevatterin, recht! ich gönn Euch jeglichen Vorteil;
  Steigt in den Eimer da droben, so fahrt Ihr hernieder und esset
  Hier an Fischen Euch satt. Ich war zum Unglück gekommen,
  Denn ich glaubt es, Ihr schwurt noch dazu: Ihr hättet so viele
  Fische verzehrt, es schmerz Euch der Leib. Ich ließ mich betören,
  Dumm, wie ich war, und stieg in den Eimer; da ging er hernieder
  Und der andere wieder herauf, Ihr kamt mir entgegen.



 Frau Muhme! sagt ich zur Alten,
  Vettern hieß ich die Kinder und ließ es an Worten nicht fehlen.
  Spar Euch der gnädige Gott auf lange glückliche Zeiten!
  Sind das Eure Kinder? Fürwahr! ich sollte nicht fragen;
  Wie behagen sie mir! Hilf Himmel! wie sie so lustig,
  Wie sie so schön sind! Man nähme sie alle für Söhne des Königs.

Zwölfter Gesang



Isegrim zeigte sich wild und grimmig, reckte die Tatzen,
  Kam daher mit offenem Maul und gewaltigen Sprüngen.
  Reineke, leichter als er, entsprang dem stürmenden Gegner
  Und benetzte behende den rauhen Wedel mit seinem
  Ätzenden Wasser und schleift' ihn im Staube, mit Sand ihn zu füllen.
  Isegrim dachte, nun hab er ihn schon! da schlug ihm der Lose
  Über die Augen den Schwanz, und Hören und Sehen verging ihm.
  Nicht das erstemal übt' er die List, schon viele Geschöpfe
  Hatten die schädliche Kraft des ätzenden Wassers erfahren.




 Hochgeehrt ist Reineke nun! Zur Weisheit bekehre
  Bald sich jeder und meide das Böse, verehre die Tugend!
  Dieses ist der Sinn des Gesangs, in welchem der Dichter
  Fabel und Wahrheit gemischt, damit ihr das Böse vom Guten
  Sondern möget und schätzen die Weisheit, damit auch die Käufer
  Dieses Buchs vom Laufe der Welt sich täglich belehren.
  Denn so ist es beschaffen, so wird es bleiben, und also
  Endigt sich unser Gedicht von Reinekens Wesen und Taten.
  Uns verhelfe der Herr zur ewigen Herrlichkeit! Amen.





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