Ein dumpfes Gemurmel gespannter Erwartung
lief durch die Reihen und brach nur in ein kurzes Gelächter aus, wenn
etwa die alten, strengen Stadtwächter eine hübsche Dirne, die sich zu
vorlaut in den freigelassenen Raum gedrängt hatte, etwas unsanft mit
dem Ende ihrer langen Hellebarde zurückdrängten, oder wenn ein Schalk
sich den Spaß machte: "Sie kommen! Sie kommen!" rief, alles lange
Hälse machte und schaute, bis es sich zeigte, daß man sich wieder
getäuscht habe.
Ein mächtiges Roß bäumte sich in der
Mitte der Straße unter ihrem Fenster, wahrscheinlich scheu gemacht
durch die flatternden Fahnen der Zünfte. Sein hoch zurückgeworfener
Kopf verdeckte den Reiter, so daß nur die wehenden Federn des Baretts
sichtbar waren; aber die Gewandtheit und Kraft, mit welcher er das
Pferd herunterriß und zum Stehen brachte, ließ einen jungen mutigen
Reiter ahnen.
Diese drängten sich in verworrenen Gruppen um die Tafel her, die, in
Form eines Hufeisens aufgestellt, beinahe die ganze Weite des Saales
einnahm. Der Rat und die Patrizier, die heute im Namen der Stadt die
Honneurs machen sollten, stachen in ihren zierlichen Festkleidern mit
den steifen schneeweißen Halskrausen wunderlich ab gegen ihre
bestaubten Gäste, die, in Lederwerk und Eisenblech gehüllt, oft gar
unsanft an die seidenen Mäntelein und samtenen Gewänder streiften.
"Müßt Ihr dem jungen Laffen auch noch das Wort reden?" fuhr jener auf.
"Was braucht es da? Er soll einen Spaß von seinem Obern ertragen
lernen."
"Mit Verlaub", fiel ihm Breitenstein ins Wort, "das ist kein Spaß,
sich über unverschuldete Armut lustig zu machen; ich weiß aber wohl,
Ihr seid seinem Vater noch nie grün gewesen."
Die einzigen Hausgenossen des
Ratsschreibers waren ein alter, grauer Diener, zwei große Katzen und
die unförmig dicke Amme. Diese vier Geschöpfe starrten den Gast mit
großen, bedenklichen Augen an, die ihm bewiesen, wie ungewohnt ihnen
ein solcher Zuwachs der Haushaltung sei. Die Katzen umgingen ihn
schnurrend, mit gekrümmten Rücken, die Amme schob unmnutig an der
ungeheuren Buckelhaube von Golddraht und fragte, ob sie für zwei
Personen das Abendessen zurichten solle? Als sie aber nicht nur ihre
Frage bestätigen hörte, sondern auch den Auftrag (man war ungewiß,
war es Bitte oder Befehl) bekam, das Eckzimmer im zweiten Stock für
den Gast zuzurüsten, da schien ihre Geduld erschöpft; sie ließ einen
wütenden Blick auf ihren jungen Gebieter schießen und verließ mit
ihrem Schlüsselbund rasselnd das Gemach.
Sie stellte sich mit komischem Ernst vor ihn
hin und fuhr fort: "Dietrich von Kraft, Schreiber eines wohledlen
Rates, habt Ihr unter den Bündischen keinen jungen, überaus höflichen
Herrn gesehen, mit langem, hellbraunem Haar, einem Gesicht, nicht so
milchweiß wie das Eure, aber doch nicht minder hübsch, kleinem Bart,
nicht so zierlich wie der Eure, aber dennoch schöner, hellblauer
Schärpe mit Silber…"
Das leise Gespräch der Liebenden verstummte vor der rauhen Gewalt
dieser Töne, aber ihr Auge hatte sich in diesem Schiffbruch ihrer
Liebe um so mehr zu sagen, und sie bemerkten nicht einmal, wie ein
Geflüster über sie im Saal erging, das sie als das schönste Paar
pries.
Georg hatte sich zu Marie auf die Bank gesetzt. Sie lehnte sich an
seine Brust und weinte heftig. Die süßesten Worte, die er ihr
zuflüsterte, vermochten nicht, ihre Tränen zu stillen "Marie", sagte
er, "Du warst ja sonst so stark, wie kannst Du nun gerade jetzt allen
Glauben an ein besseres Geschick, alle Hoffnung aufgeben?"
Noch lebhafter war dies kriegerische Bild vor den Toren der Stadt;
auf einem Anger an der Donau übte Sickingen seine Reiterei, auf einem
großen Blachfeld gegen Söslingen hin pflegte Frondsberg sein Fußvolk
zu tummeln.
An einem schönen Morgen, etwa drei bis vier Tage, nachdem Marie von
Lichtenstein mit ihrem Vater Ulm verlassen hatte, sah man eine
ungeheure Menge Menschen aus allen Ständen auf jener Wiese versammelt,
um diesen Übungen Frondsbergs zuzusehen.
Er hatte sich unter diesen trüben Gedanken langsam dem Tor der Stadt
genähert, als er sich plötzlich am Arm ergriffen fühlte; er sah sich
um, ein Mann, dem Anschein nach ein Bauer, stand vor ihm.
"Was willst Du?", fragte Georg etwas unwillig, in seinen Gedanken
unterbrochen zu werden.
"Es kommt darauf an, ob Ihr auch der Rechte seid", antwortete der Mann "Sagt einmal, was gehört zu Licht und Sturm?"
"Glaubt deshalb nicht minder an meine Ehrlichkeit", antwortete der
Bauer, "man wird oft genötigt, von Jugend auf durch solche Künste
sich fortzuhelfen; sie schaden keinem und tun doch dem gut, der sie
kann."
Um einen großen, schwerfälligen Tisch saßen acht ältliche Männer, die
den Kriegsrat des Bundes bildeten. Einige davon kannte Georg. Jörg
Truchseß, Freiherr von Waldburg, nahm als Oberster Feldleutnant den
obersten Platz am Tisch ein, zu beiden Seiten von ihm saßen
Frondsberg und Franz von Sickingen, von den übrigen kannte er keinen
außer den alten Ludwig von Hutten; aber die Chronik hat uns ihre
Namen treulich aufbewahrt; es saßen dort noch Christoph Graf zu
Ortenberg, Alban von Closen; Christoph von Frauenberg und Diepolt von
Stein, bejahrte, im Heer angesehene Männer.
Er mochte wohl ein Stündchen geschlummert haben, als ihn das Wiehern
seines Pferdes aufschreckte. Er sah sich um und gewahrte einen Mann,
der, ihm den Rücken kehrend sich mit dem Tier beschäftigte. Sein
erster Gedanke war, daß man seine Unachtsamkeit benützen und das
Pferd entführen wolle. Er sprang auf, zog sein Schwert und war in
drei Sprüngen dort.
War dann das kleine
Mahl verzehrt, hatte Georgs Pferd wieder Kräfte gesammelt, so
begleitete das ganze Haus den Scheidenden bis an die Tür, und der
junge Reiter konnte zu seiner Beschämung niemals die Gastfreundschaft
der guten Leute belohnen.
"Aber wie heißt jene Burg, die hier zunächst aus der Tiefe
emporsteigt?" fragte der junge Mann, "sieh nur, wie sich die Sonne an
ihren hellen weißen Wänden spiegelt, wie ihre Zinnen in goldenen Duft
zu tauchen scheinen, wie ihre Türme in rötlichem Licht erglänzen."
"Das ist Reussen, Herr! Auch eine starke Feste, die dem Bund zu
schaffen machen wird."
Einer packte die Zügel seines Rosses, doch
in demselben Augenblick traf ihn Georgs Klinge auf die Stirn, daß er
ohne Laut niedersank; doch die anderen, wütend gemacht durch den Fall
ihres Genossen, drangen noch stärker auf ihn ein und riefen ihm zu,
sich zu ergeben; aber Georg, obgleich er schon am Arm und Fuß aus
mehreren Wunden blutete, antwortete nur durch Schwerthiebe.
Bärbele stellte sich auf die Zehen und schaute ihrer Mutter über die
Schulter durchs Fensterlein. Sie staunte, und ihr Herz pochte seit
siebzehn Jahren zum ersten Mal recht ungestüm:
Georg nahm gerührt Abschied von der stattlichen, runden Frau, die ihm
zu Ehren heute noch einmal in ihrem Sonntagsstaat prangte; er hatte
in den geschnitzten Schrank einen Goldgulden gelegt, ein wichtiges
Geschenk für die damalige Zeit, und eine bedeutende Summe für die
Reisekasse Georgs von Sturmfeder.
Doch der mit dem ledernen Rücken ließ sich nicht einschüchtern; er
stellte seine ungemein muskulöse Faust vor sich hin und sagte: "Den
Landläufer könnt Ihr für Euch behalten, Herr Calmus, man weiß wohl,
wer Ihr seid; und wenn Ihr nicht augenblicklich Euer Maul haltet, so
will ich Euch Eure Rührlöffelarme vom Leib schlagen."
Der Hagere stand auf und bedauerte sich selbst, daß er in so gemeine Gesellschaft geraten sei; er zahlte seinen Wein und ging vornehmen Schrittes aus der Trinkstube.
"Gott bewahre mich, daß ich über jemand lästere! Da kennt Ihr mich
schlecht, Herr Ritter! Das alles hat mir Frau Rosel gesagt, und noch
mehr hat sie vermutet und mir ins Ohr geflüstert, was eine ehrliche
Frau einem schönen jungen Herrn nicht wieder sagen kann. Und denkt
Euch, wie recht schlecht das Fräulein ist, sie hat noch einen anderen
Liebhaber gehabt, und dem ist sie also untreu geworden!"
"Noch einen?" fragte Georg aufmerksam, denn die Erzählung schien ihm
mehr und mehr an Wahrscheinlichkeit zuzunehmen.
Als diese hell aufloderten, bemerkte Georg, daß sie vor einem großen
Portal standen, das die Natur in die Felsenwand gebrochen hatte, und
dies mochte wohl der Eingang zu der Wohnung sein, wo der Geächtete,
wie sich der Pfeifer ausdrückte, beim Uhu zur Miete war. Der Mann
von Hardt ergriff eine der Fackeln und bat den Jüngling, die andere
zu tragen, denn ihr Weg sei dunkel und hie und da nicht ohne Gefahr.
Nachdem er diese Warnung geflüstert, schritt er voran in das dunkle
Tor.
"Junger Mann!" sagte der Geächtete mit Hoheit, die nur durch den
gewinnenden Ausdruck der Freundlichkeit gemildert wurde. "Ihr habt
einen Freund gefunden durch Euer tapfereres, ehrenvolles Wesen, durch
Euren offenen, freien Blick, durch Eure warme Teilnahme an dem
unglücklichen Herzog. Es sei Euch genug, diesen Freund gewonnen zu
haben, fragt nicht weiter, ein Wort könnte vielleicht dieses
trauliche Verhältnis zerstören, das mir so angenehm ist. Lebt wohl,
denkt an den geächteten Mann ohne Namen, und seid versichert, ehe
zwei Tage vorbeigehen, sollt Ihr von mir und meinem Namen hören." Es
wollte Georg dünken, als stehe dieser Mann, trotz seines
unscheinbaren Kleides, vor ihm wie ein Fürst, der seinen Diener
huldreich entläßt, so groß war jene unbeschreibliche Hoheit, die ihm
auf der Stirn thronte, so erhaben der Glanz, der aus seinem Auge
drang.
"Ihr seid willkommen in Lichtenstein!" sagte der alte Herr, indem er
seinem Gast die Hand bot und eine gütige Freundlichkeit den
gewöhnlichen strengen Ernst seiner Züge milderte. "Was steht Ihr
müßig da Ihr Schlingel!" wandte er sich nach dieser ersten Begrüßung
zu seinen Dienern "Soll etwa der Junker sein Roß mit hinaufführen in
die Stube? Schnell, hinein mit in den Stall; das Rüstzeug tragt auf
die Kammer am Saal!—Verzeiht, werter Herr, daß man Euch solange
unbedient stehen ließ, aber in diese Burschen ist kein Verstand zu
bringen. Wollt Ihr mir folgen?"
"Hör einmal, du ungeheurer Geselle" wandte sich Georg in dem Hund,
der ihn aufmerksam ansah, "sage mir, wie heißt dein Herr?"
Der Hund richtete sich stolz auf, riß den weiten Rachen auf und
brüllte in schrecklichen Tönen "U-u-u!"
Marie errötete. "Laß doch die Possen", sagte sie und rief den Hund
zu sich, "wer wird mit Hunden sprechen, wenn man in menschlicher
Gesellschaft ist!"
Er schlich weiter an die Wendeltreppe. Noch einmal
hielt er an, um zu lauschen, ob alles still sei.
Auch Georg hatte erwartungsvoll hingesehen. Er musterte mit
schnellem Blick die Eintretenden, in dem einen erkannte er sogleich
den Pfeifer von Hardt, der andere war—jener Krämer, den er in der
Herberge von Pfullingen gesehen hatte. Der letztere warf einen Pack,
den er auf dem Rücken getragen ab, riß das Pflaster weg, womit er ein
Auge bedeckt hatte, richtete sich aus seiner gebückten Stellung auf,
und stand nun als ein untersetzter, stark gebauter Mann mit offenen
kräftigen Zügen vor ihnen.
"Marx! Wie verfahren sie gegen das Landvolk?" fragte er.
"Wie Räuber", antwortete dieser, "sie verwüsten ohne Not die
Weinberge, sie hauen die Obstbäume nieder und verbrennen sie am
Nachtfeuer; Sickingens Reiter traben durch das Saatfeld und treten
nieder, was die Pferde nicht fressen. Sie mißhandeln die Weiher und
pressen den Männern das Geld ab. Schon jetzt murrt das Volk
allerorten, und laßt erst den Sommer kommen und den Herbst! Wenn aus
den zerstampften Fluren kein Korn aufgeht, wenn auf den verwüsteten
Bergen keine Weinbeere wächst, wenn sie erst noch die ungeheure
Kriegssteuer, die der Bundesrat umlegen wird, bezahlen müssen—da
wird das Elend erst recht angehen."
...es waren dies die Landsknechte. Diese Menschen, aus allen Enden
und Orten des Reiches zusammengelaufen, boten gewöhnlich dem ihre
Hilfe an, der sie am besten zahlte; für was und gegen wen sie
kämpften, war ihnen gleichgültig. Um sie zu halten, mußte man ihnen
vieles nachsehen, und Raub, Mord, Plünderung, Brandschatzen führten
sie auf ihre eigene Faust aus, um sich zu entschädigen, wenn sie den
Sold nicht richtig bekamen.
"Muckerle, Hauptmann vom achten Fähnlein! Ich rat Euch, haltet Euer
Maul", sagte der Oberst. "Bassa manelka, ich versteh keinen Spaß.
Die Mauz soll den Löwen nicht erzürnen."
Maul", sagte der Oberst. "Bassa manelka, ich versteh keinen Spaß.
Die Mauz soll den Löwen nicht erzürnen."
"Und ich sag's noch einmal; wo hättest Du sonst den König her? Vor
dem Papst und dem König von Frankreich will ich's beweisen; Du
falscher Spieler!"
"Muckerle", erwiderte der Oberst und zog kaltblütig seinen Degen aus
der Scheide, "bete noch ein Ave Maria und ein Gratias, denn ich
schlage Dich tot, zo wie daz Spiel auz ist."
Dem Platz, wo die Hauptleute und der lange Peter, ihr Oberst,
versammelt waren, nahte sich jetzt ein geharnischter Reiter, dessen
Pferd von zwei Landsknechten geführt wurde. Der Ritter hatte das
Visier seines blanken Helmes herabgeschlagen, die breiten Schultern
und die kräftigen Lenden und Beine waren mit Platten und Schienen von
Stahl verhüllt, aber die wallenden Federn seines Helmbusches und die
wohlbekannten Farben einer Schärpe, die über den Panzer herablief,
die Haltung und das edle, kräftige Wesen des Nahenden hatten dem
Pfeifer von Hardt längst gesagt, wen er zu erwarten hatte. Und er
täuschte sich nicht, denn einer der Knechte trat jetzt vor den Oberst
und berichtete, daß der "Edle von Sturmfeder" mit den Anführern der
gesamten Landsknechte etwas zu sprechen habe.
Aber ehe sie noch diesen Entschluß ausführten; trat ein kräftiger
Mann hinauf, warf mit einem Schlag den Doktor rechts und den Ulmer
mit dem rosenfarbenen Mäntelein links von der Bank, und winkte mit
der Mütze in die Luft. "Still! Das ist der Hartmann", flüsterten
die Bürger, "der versteht's, hört, was er spricht!"
Der junge Mann wandte sich verwundert um und schaute herab—auf den
Kanzler Ambrosius Volland. War ihm dieser Mann schon gestern durch
seine widrige Freundlichkeit, durch sein katerhaftes, schleichendes
Wesen unangenehm aufgefallen, so war dies heute noch mehr der Fall,
da der Kanzler durch überladenen Putz seine Mißgestalt noch mehr
herausgehoben hatte.
Der Doktor Calmus hielt seinen Umzug durch die Stadt. Er saß
verkehrt auf einem Esel; die Landsknechte hatten ihn wunderlich
ausgeschmückt; sie hatten ihm eine Mütze von Leder aufgesetzt, an
deren Spitze eine Hahnenfeder angebracht war. Vor ihm gingen zwei
Trommler, zu seinen Seiten sah man in gravitätischen Schritten den
Magdeburger und den Wiener, den ehemaligen Hauptmann Muckerle und
seinen tapfern Obersten gehen, die hin und wieder mit den Enden ihrer
Hellebarden den Esel zu kühnen Sprüngen antrieben. Ein ungeheurer
Volkshaufen umschwärmte ihn und bewarf ihn mit Eiern und Erde.
Der Herzog antwortete nicht. Er riß mit einer hastigen Bewegung
Feder und Pergament dem Kanzler aus der Hand, warf einen schnellen,
durchdringenden Blick auf ihn und den Ritter, und ehe noch dieser es
verhindern konnte, hatte Ulrich seinen Namen unterzeichnet. Der
Ritter stand in stummer Bestürzung, er senkte bekümmert das Haupt auf
die Brust herab. Der Kanzler blickte triumphierend auf den Ritter
und den Herzog.
In Stuttgart aber glaubte man
fest, der Herzog müsse in der fröhlichsten Stimmung sein, denn wenn
er mit seinem glänzenden Gefolge durch die Straßen ritt, alle schönen
Jungfrauen grüßte und mit den Herren zu seiner Seite scherzte und
lachte, da sagten sie:
"Herr Ulrich ist wieder so lustig wie vor dem armen Konrad."
So ging der Zug aus dem Tor des Schlosses nach der Kirche, die nur
durch einen breiten Platz von ihm getrennt war. Kopf an Kopf standen
die schönen Mädchen und die redseligen Frauen, sie musterten die
Anzüge der Fräulein, strengten Blicke an, als die schöne Braut
vorbeiging, und waren voll Lobes für den Bräutigam.
"Mögen Euch diese Becher, wenn sie bei den Hochzeiten Eurer Kinder,
bei den Taufen Eurer Enkel kreisen, mögen sie Euch an einen Mann
erinnern, dem Ihr beide im Unglück Liebe und Treue bewiesen, an einen
Fürsten, der im Glück Euch immer gewogen und zugetan ist."
Der Mundschenk goß die Becher voll und kredenzte sie
seinem Herzog und Georg von Sturmfeder, Ulrich sah ihn lange und
nicht ohne Rührung an; er drückte seine Hand und sagte: "Du hast
Probe gehalten. Als ich verlassen und elend unter der Erde lag, hast
Du Dich zu mir bekannt; als jene Vierzig meine Burg übergaben und
kein Stückchen Württemberg mehr mein war, bist Du mir aus dem Land
gefolgt, hast mich oft getröstet und auch auf diesen Tag verwiesen
Bleibe mein Freund, wer weiß, was die nächsten Tage bringen. Jetzt
kann ich wieder Hunderten gebieten und sie schreien 'Hoch!' auf das
Wohl meines Hauses, und doch war mir Dein Trinkspruch mehr wert, den
Du in der Höhle ausbrachtest und den das Echo beantwortete. Ich
erwidere ihn jetzt und gebe ihn Dir: Sei glücklich mit Deinem Weib,
möge Dein Geschlecht auf ewige Zeiten grünen und blühen; möge es
Württemberg nie an Männern fehlen, so mutig im Glück, so treu im
Unglück wie Du!"
So war auch der Zug in jener Nacht, ernst und von keinem Laut der
Freude unterbrochen. Georg ritt neben dem alten Herrn von
Lichtenstein und warf hie und da ängstliche Blicke auf diesen, denn
er hing wie von Kummer gebückt im Sattel und schien ernster als je zu
sein. Er hätte beinahe ohne Leben geschienen, wenn nicht hin und
wieder ein Seufzer aus seiner Brust heraufgestiegen wäre und seine
glänzenden Augen nach den Wölkchen geschaut hätten, die um die
bleiche Sichel des Mondes zogen.
"Glaubt Ihr, es wird morgen zum Gefecht kommen, Vater?" flüsterte Georg nach einer Weile.
"Zum Gefecht? Zur Schlacht!"
Neben dem Herzog hielt eine sonderbare Figur, beinahe wie eine
Schildkröte, die zu Pferd sitzt, anzusehen. Ein Helm mit großen
Federn saß auf einem kleinen Körper, der auf dem Rücken mit einem
gewölbten Panzer versehen war; der kleine Reiter hatte die Knie weit
heraufgezogen und hielt sich am Sattelknopf fest. Das
herabgeschlagene Visier hinderte Georg, zu erkennen, wer dieser
lächerliche Kämpfer sei; er ritt daher näher an den Herzog heran, und
sagte:
"Wahrhaftig, Euer Durchlaucht haben sich da einen überaus mächtigen
Kämpen zum Begleiter ausersehen. Seht nur die dürren Beine, die
zitternden Arme, den mächtigen Helm zwischen den kleinen Schultern—
wer ist denn dieser Riese?"
Neben ihm saß Hans, der Pfeifer
von Hardt; er sah unverwandt ins Feuer, und seine Gedanken schienen
sich in einem Liedchen zu sammeln, dessen melancholische Weise er mit
leiser, unterdrückter Stimme vor sich hin sang. Wenn das Feuer
heller aufflackerte, schaute er mit einem trüben Blick nach dem
Herzog, und wenn er sah, daß jener noch immer schlafe, versank er
wieder in den flüsternden, traurigen Gesang.
Wir packten allesamt den im grünen
Mantel, wie uns der Kahlmäuser geheißen, der andere aber stürzte sich
mit seinem Roß über die Brücke hinab in den Neckar und schwamm davon.
Wir aber ließen ihn ziehen weil wir den Grünen hatten, und brachten
diesen hierher."
Noch oft, wenn sie am Fenster des Schlosses standen und hinabschauten
auf Württembergs schöne Fluren, gedachten sie des unglücklichen
Fürsten, der einst hier mit ihnen auf sein Land hinabgeblickt hatte,
und dann dachten sie nach über die Verkettung seiner Schicksale und
wie durch eine sonderbare Fügung auch ihr eigenes Geschick mit dem
seinigen verbunden war; und wenn sie sich auch gestanden, daß ihr
Glück vielleicht nicht so früh, nicht so schön aufgeblüht wäre ohne
diese Verknüpfung, so wurde doch ihre Freude durch den Gedanken
getrübt, daß der Stifter ihres Glückes noch immer fern von seinem
Land im Elend der Verbannung lebe. Erst viele Jahre nachher gelang
es dem Herzog, Württemberg wiederzuerobern.
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