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Mittwoch, 20. Juli 2022

BALDUIN MÖLLHAUSEN: DER FÄHRMANN AM KANADIAN ILLUSTRIERT VON ADOLF WALD, 2. Teil

 

 

Über den Strom.


Nachlässig plaudernd und bereits bedrückt von der Sonnenglut, schritten die beiden Gefährten an der mit wildem Gerank dicht bezogenen Pfahleinfriedigung des Gartens hin. Das Schindeldach der Fährhütte im Auge, achteten sie weniger auf ihre Umgebung, als es plötzlich auf der anderen Seite des Zauns in dem üppig wuchernden Unkraut sich regte, ein Schatten daraus auftauchte und über die Einfriedigung hinweg, auf die zwei breite Tatzen sich stützten, der Kopf eines Bären sie anschnaubte und demnächst, gleichsam prüfend, mit der beweglichen Nase windete.

Durch den unvermuteten Anblick erschreckt, waren die beiden Männer zur Seite geprallt und betrachteten nunmehr mißtrauisch das grimmig dareinschauende Tier. Bevor sie aber in der ersten Überraschung ein Wort zu wechseln vermochten, tönte eine helle, melodische Stimme zu ihnen heraus.

»Tommy! Hierher!« hieß es. Dann, nachdem der Bär Folge geleistet hatte, zu den Männern: »Fürchten Sie sich nicht! Er ist sanftmütig wie eine Taube.«


»Er tut Ihnen nichts,« sagte sie lachend, sobald sie gewahrte, daß Milford das Tier mißtrauisch betrachtete. »Freilich gegen jedermann ist er nicht gerade höflich. Es ist, als ob der Instinkt ihn lehre, wem er trauen darf, und danach richte ich oft selber mein Verhalten ein.«

Sie setzte sich vor die beiden Männer hin, und des Bären Haupt auf ihren Schoß ziehend, öffnete sie dessen Rachen weit.

Drei andere Gestalten waren unterdessen nach der Hütte hinüber gekrochen, sich nicht eher aufrichtend, als bis die Schwelle der offenen Türe hinter ihnen lag. Das durch die Fenster hereindringende Mondlicht begünstigte sie in ihren Bewegungen. Kein Laut wurde zwischen ihnen gewechselt, aber zuversichtlich schritten sie in Charons Wohnzimmer, wo sie mit ihren an die unbestimmte Beleuchtung gewöhnten Augen zunächst die Umgebung aufmerksam zu prüfen begannen. Nur selten berührten sie diesen oder jenen Gegenstand, noch weniger verrieten sie Neigung, sich irgend etwas anzueignen.

 

 

Das Ballspiel.

...Entwirren die Knäuel sich jetzt, so könnte man glauben, eine Herde Höllengeister vor sich zu sehen, derartig sind die nicht kunstlosen Malereien auf ihren Körpern verwischt. Der eine und der andere wird wohl auch seinen stolzen Schweif vermissen, und die Beulen und Schrammen, die im ganzen davongetragen wurden, genügten sicher, einen Büffel ums Leben zu bringen. Doch das gehört mit zum Spiel, und nie erfuhr ich, daß von dieser Stelle aus feindliche Gesinnungen mit fortgenommen wurden.«
 

 

Auf einer ihm geeignet erscheinenden Stelle bog er wie ein argloser Müßiggänger in das Gebüsch ein, wo er bald sich abermals mit dem Namen Thomas angeredet hörte. Er kehrte sich dem Ruf zu, und vor ihn hin trat ein schwarzbrauner Indianer, der, um sie gegen das zerrende Gestrüpp zu schützen, die blaue Kalikodecke zusammengerollt unter den Arm genommen hatte.

 

Bei den Komanches.

 

Am Fuße des Baumstammes saß ein hochbetagter Krieger und entlockte einer seltsam verzierten Pfeife süßlich duftende Rauchwölkchen.

 

Auf Wiedersehen!

Nur wenige Worte wurden noch in dem traulichen Heim gewechselt, und als man die Hände ineinander legte, da walteten Empfindungen wie bei Leuten, die seit Jahren an demselben Herd vereinigt gewesen. Schwermütig schaute Charon darein, als sie von einem möglichen Wiedersehen sprachen. In Mollys Augen schimmerte es feucht, während Milford ihre Hand hielt.
 


Sie beständig im Auge, hatte der Bär sich oben auf dem Stamm lang ausgestreckt. Sie setzte sich neben ihn, und seinen Kopf auf ihren Schoß ziehend, Arme und Haupt auf ihm rastend, gab sie rücksichtslos den in ihr wogenden Empfindungen nach. Ihre Tränen versiegten; um so lebhafter arbeitete dafür ihr frischer junger Geist. Erschien sie sich doch so vereinsamt und verlassen, daß sogar die ihrer harrenden Tagesbeschäftigungen alle Reize für sie verloren. Nach den Zeiten des frohen Verkehrs mit Milford glaubte sie, daß die Zukunft plötzlich eine düstere Färbung angenommen habe, die Tage sich öde und endlos vor ihr ausdehnten.

 

Nach Fort Smith.

 

»Also doch richtig gehört,« bemerkte Adams; »ich vernahm, Sie wollten nach Fort Smith, um Einkäufe zu besorgen. Es hat den Anschein, als möchten Sie zur Nacht aufbrechen.«

»Heute nicht mehr,« antwortete Charon, ohne sich in seiner Beschäftigung stören zu lassen, »ich treffe nur meine Vorbereitungen, um morgen nicht damit aufgehalten zu werden.«

»So machen Sie früh los?« forschte Adams weiter.

»Die kühlen Morgenstunden will ich zur Fahrt benutzen,« hieß es eintönig zurück.

 

Auf der Jagd nach dem Zaubermädchen.

Wo Charon Geld und Papiere aufbewahrte, wußte er. Er hatte es ausgekundschaftet, wenn dieser ihm kleine Summen zur Bestreitung der Unterhaltungskosten einhändigte. Zuversichtlich trat der Räuber vor den Tisch hin. Dessen Schiebekasten war verschlossen, für ihn kaum ein Hindernis; denn den Rand der Tischplatte mit beiden Fäusten packend, zugleich das untere Gestell mit dem Knie an die Wand pressend, brach er sie ohne große Mühe los. Bedächtig leuchtete er in den Kasten hinein. Zwei kleine Korbmulden, deren eine bis zur Hälfte mit Silbergeld gefüllt, wogegen die andere eine nicht unerhebliche Anzahl Goldstücke enthielt, standen vor ihm.

Sie versanken gleichsam in dem Gestrüpp, das jenseits von ihnen die Uferwand kränzte. Dort lagen sie wie Tote.

Mit dem Mute der Verzweiflung schwang der Dolmetscher sich nach dem Stamm hinaus, ahnungslos, daß der im Schatten des Baumes fast verschwindende Bär mit den kleinen, grün leuchtenden Augen seine Bewegungen aufmerksam verfolgte. Ums Gleichgewicht kämpfend, schwang er die Arme nach vorn. In dem gleichen Augenblick hörte er neben sich ein unheimliches Schnauben. Gleichzeitig schnellte der Bär, des Dolmetschers Bewegung offenbar für einen feindlichen Angriff haltend, empor. Grimmig fauchend warf er sich auf und ihn mit Pranken und Zähnen packend, riß er ihn von dem Stamm herunter, alsbald mit dem entsetzt Aufschreienden in ein Knäuel zusammenrollend. 
 
 

 

Nur die Stammesangehörigkeit des zerfleischten Räubers festzustellen, gelang ihm nicht gleich, weil der Bär sein Opfer grimmig überwachte und jeden Nahenden mit einem wütenden Angriff bedrohte. 

 

Unerwartetes Zusammentreffen.

 

Dieser grinste befriedigt und hob alsbald an: »So, Herr Charon – Sie sehen, ich achte Ihre Schrullen, denn im Grunde kümmert sich hier der Henker darum, ob der Fährmann am Kanadian ein Baron oder ein abgedankter Kutscher ist – also, Gevatter Charon, wenn es noch 'mal was zu ordnen geben sollte, so einigen wir uns leichter im Guten, als wenn wir 'ne Faust in der Tasche machen. Erscheint mein Verfahren Ihnen nicht ganz christlich – verdammt! ich bin selber zu lange mit Füßen getreten worden, um viel fragen zu brauchen, ob mein Tun jemand gefällt.« 
 

Die Heimkehr.

Wie von einer tödlichen Waffe getroffen und plötzlich vollständig ernüchtert, fuhr Adams nach ihm herum. In dem gleichen Augenblick fühlte er sich hinterrücks von sehnigen Armen umschlungen, und bevor er recht ahnte, was ihm drohte, oder nach seinen Pistolen zu greifen vermochte, lag er auf der Erde und war ein halbes Dutzend Hände eifrig damit beschäftigt, ihn in einer Weise zu fesseln und zusammenzuschnüren, daß es ihm unmöglich war, auch nur ein Glied zu rühren. Zugleich waren vier andere Männer aus dem nahen Gebüsch getreten und beobachteten gleichmütig den Elenden, der im Übermaß des Entsetzens nur noch röchelndes Stöhnen hervorbrachte.

Nachdem alle Vorbereitungen vollendet waren, wurde Adams auf dem Schimmel, den er so lange geritten hatte, festgeschnürt. Wie einen toten Gegenstand behandelte man ihn. Er selbst vermochte nur noch zu wimmern und zu heulen. Nach einem kurzen Abschiedsgruß an den Choctaw setzte die unheimliche Karawane sich in Bewegung. Die zurückerbeuteten Pferde wurden vorausgetrieben. Ihnen folgte ein Reiter, den Schimmel mit dem Verbrecher am Zaume führend. Neben diesem ritt ein Farmer, die Büchse quer vor sich auf dem Sattel.


Von einem der untersten Äste des Baumes hing an einem Lasso eine menschliche Gestalt so tief nieder, daß kaum eine Elle Zwischenraum zwischen den Füßen und dem Erdboden blieb. Die Hände waren ihr auf dem Rücken zusammengeschnürt; das gräßlich entstellte Antlitz kehrte sie der Landstraße zu. Anfänglich beherrscht von verwirrendem Schrecken, sah Charon nur einen vierschrötigen Körper. Erst allmählich erkannte er an Haar, Bart und Bekleidung seinen unermüdlichen Peiniger. Die Wirkung davon war eine niederschmetternde. Er konnte nicht gleich fassen, daß jemand, mit dem er vor Stunden noch, wenn auch widerwillig verkehrte, so jäh von einem rächenden Geschick ereilt worden. Da tauchte der Gedanke in ihm auf, daß vielleicht noch Leben in dem Elenden wohne, es noch nicht zu spät zur Rettung wäre. Hastig stieg er vom Wagen, doch näher tretend überzeugte er sich leicht, daß der Tod längst sein Opfer gefordert habe. Sein Blick fiel auf ein Stück Papier, offenbar ein Blatt, das einem Notizbuch entnommen und auf der Brust des Gehenkten augenfällig festgesteckt worden war.

»Ein Mörder, Einbrecher und Räuber erlitt hier nach eingehender Klarlegung seiner Missetaten die verdiente Strafe. Richter Lynch,« lauteten die mittelst Bleistifts auf den Zettel geschriebenen Worte.

 

Die Gipshöhle.

Charon antwortete nicht, sondern das Fernrohr fester packend, spähte er mit verschärfter Aufmerksamkeit über den Arkansas hinweg nach der fernen Linie des Horizontes hinüber. Milford und Fakit errieten, daß dort irgendeine Erscheinung ihn befremde.
 

Die Reiter aber saßen auf ihren nackten keuchenden Pferden, als ob sie mit ihnen verwachsen gewesen wären. Weit nach hinten flatterte das lange schwarze Haar. Die Faust, die den Bogen hielt, umklammerte mit diesem ein Bündel Pfeile, während der von den Hüften niederhängende Köcher neuen Vorrat barg; sogar zwischen die Zähne klemmte man in den Pausen Pfeile, um sie in entscheidenden Augenblicken schneller zur Hand zu haben. Und so war es eine Lust, zu beobachten, wie die wilden Steppenreiter immer wieder in die Herde eindrangen, bald dieses, bald jenes Tier abdrängten, ihm mit unglaublicher Gewandtheit einige scharf bewehrte Geschosse zwischen den Rippen hindurch in die Lunge sendeten und ohne Säumen jauchzend und gellend ein anderes Opfer ins Auge faßten. Auf das Fallen des Tieres wurde nicht gewartet. Man wußte aus Erfahrung, daß die infolge der Muskelbewegung fortgesetzt hin und her schneidende Eisenspitze die Ermattung schneller herbeiführte, als glatte Bleikugeln.
 

Die Stromfahrt.

Molly, davon ausgehend, daß eine briefliche Botschaft nur von Charon herrühren könne, nahm das Papier und unhörbar wurde die Hand durch den langen Einschnitt zurückgezogen.



Er kehrte sich um, und vor ihm stand der junge Delaware. Flüsternd redete er den vermeintlichen Stammesgenossen an. Fast gleichzeitig aber traf ihn der Schlag eines mit Blitzesschnelle geführten Beils und streckte ihn jählings zu Boden. –

 

 
Einige Sekunden verstrichen, und mit scharfem Knall entlud sich die Büchse; zugleich richteten sich alle Blicke nach oben.

Zwei Arme, ein Gewehr haltend, waren dort sichtbar geworden. Hoch emporgeworfen, sanken sie alsbald wieder zurück, während die Waffe, anscheinend mit letzter Kraft geschleudert, im Bogen über den Abhang hinausflog.

 

Der Bär erhob sich und beschnupperte argwöhnisch die ihm entgegengestreckte Hand. Plötzlich aber richtete er sich laut winselnd auf die Hintertatzen auf, und unter Tränen lachend, hatte Molly ihre liebe Not, die unsanften Liebkosungen des täppischen Gesellen von sich abzuwehren.

 

Scheiden.

»Muß es denn sein?« fragte Molly erschüttert ... Dann, wie auf der Flucht vor sie verfolgenden Phantomen, breitete sie die Arme aus, und seinen Nacken umschlingend, barg sie, aufs neue in Tränen ausbrechend, ihr Antlitz auf seiner Schulter.


Kündigung einer alten Freundschaft.

In der Richtung, die Unica eingeschlagen hatte, stehen bleibend, wartete er, bis sie, vor ihm eingetroffen, gerade weit genug auswich, um ihn nicht zu berühren. Dann schritt er neben ihr einher, unbekümmert darum, daß sie ihn mit unverkennbarer Absichtlichkeit nicht beachtete.
 

Kunibertus, in der einen Faust das Tuch, in der andern die schirmlose Mütze und beides in gleicher Höhe mit dem Kopf haltend, sah Unica schärfer an.
 

Im Arbeitszimmer des Barons.

Als Unica mit dem Briefpaket zu dem Baron in den Gartensalon gewiesen wurde, hatte dieser sich in eine Zeitung vertieft. Bei ihm befand sich die Baronin, ebenfalls in einer mit Modekupfern durchschossenen


»Mensch, du bist verrückt!« brach sein Entsetzen sich endlich Bahn, »wäre sie meines Bruders Tochter, so würde das Geheimnis nimmermehr bis auf den heutigen Tag bewahrt geblieben sein. Und dann das Geld – als er verhaftet wurde, ließ er Frau und Tochter im tiefsten Elend zurück. Wer sagt, wo die ihr Ende genommen haben! Aber was bringt dich auf die verrückte Idee? Ohne irgend eine Anregung kannst du doch nicht darauf verfallen sein.«


 Als er bei seiner Frau eintraf, war diese in ein ernstes Gespräch mit Joachim vertieft. Bei seinem Anblick erschraken beide, denn auf seinem Gesicht wirkten noch immer die durch den verhängnisvollen Brief ins Leben gerufenen Regungen. Auf die Frage seiner Frau antwortete er, daß ihm sehr unangenehme Nachrichten zugegangen seien und er schon folgenden Tages eine längere Reise anzutreten habe.

Eine Beweisführung.


Der Baron zog den Brief hervor und überreichte ihn schweigend dem Doktor. Dieser las ihn sehr bedächtig, und nachdem er geendigt, gab er ihn mit einem beinah mutwilligen Lächeln zurück.

»Das elende Schriftstück hat augenscheinlich einen ganz raffinierten Schurken zum Verfasser,« bemerkte er dabei, »und ich erstaune, daß Sie es nicht sofort den Flammen übergeben haben. Aber immerhin, bei Ihrer offenbar leicht erregbaren Phantasie ist der Anblick eines Gegenstandes, der, wenn auch unberechtigt, in peinlicher Spannung erhält, geradezu gefährlich. Es sollte mich nicht wundern, wären Sie unter dem ersten Eindruck auf den lächerlichen Erpressungsversuch eingegangen.«

 


In der Absicht, es auf seinen Platz zurückzustellen, kehrte Schierling das Skelett um, infolgedessen die leeren Augenhöhlen in der Entfernung weniger Handbreiten ausdruckslos in das Antlitz des Barons stierten und die beiden nackten Zahnreihen ihn häßlich angrinsten.

Der Baron taumelte zurück. Leichenfarbe breitete sich über seine Züge aus. Nach seinem Stuhl hinüberschwankend, ließ er sich schwerfällig nieder, und wiederum sprach er wie im Traume: »Das ist entsetzlich. Wäre es mir doch erspart geblieben,« und so überwältigend war der Eindruck, daß er nicht einmal zu fragen wagte, wie das Skelett dorthin gekommen.

 

Jockeiklamm.

 

Beim Anblick des leicht erkennbaren Jockeiklamm, der während des Einherschreitens mit seinem Stöckchen bald tändelnd eine in Federsaat geschossene Butterblume köpfte, bald nach einem Käfer oder einer Bremse schlug, blieb er stehen. Einige Sekunden betrachtete er den sich Nähernden scharf; dann breitete tiefe Blässe sich über sein krankhaft gewelktes Antlitz aus. Dabei schienen seine Augen sich zu verglasen, und wie um einer Anwandlung von Schwäche zu begegnen, stellte er das Gewehr vor sich auf die Erde, es als Stütze benutzend.

 

Am Weiher. Der Würfel ist gefallen.

»Alles – alles das Meinige,« sprach er unwillkürlich vor sich hin und versenkte sich in das Anschauen der Schätze, an denen er ein halbes Menschenalter hindurch mit unsäglicher Geduld, nie erlahmender Vorsicht und der gewissenlosen, alle Menschenrechte verhöhnenden Gier eines Höllengeistes gesammelt hatte. Ja, da lagen sie vor ihm fest neben- und übereinander geschichtet die Hunderte und Hunderte kleiner und großer Goldstücke.

Nach wie vor strahlten Lampen und Kerzen. Mit den weingefüllten Kristallgläsern funkelten die Augen um die Wette.


 


Er umarmte den alten Gefährten. Als er sich von ihm losreißen wollte, hielt dieser ihn.

»Noch ein Wort, Joachim,« sprach er, »und das mag das letzte zwischen uns gewechselte sein. Versprich mir, was auch immer an dich herantreten mag, dich als einen Mann zu erweisen, nicht unter dem Druck widriger Verhältnisse den Mut zu verlieren und als Schwächling zu einer Unbesonnenheit dich hinreißen zu lassen.«

 

Auf Leben und Tod.

 


Darauf trat Jockeiklamm in die Tür, und mit einem gewissen Siegesbewußtsein floß es von den beweglichen Lippen: »Es ist nicht schön, einem Mitmenschen nachzuschleichen und ihn zu belauschen, mein lieber Wiedehopf; allein was soll man machen, wenn sich jemand mit unverkennbarer Absichtlichkeit einer Zusammenkunft entzieht? Und ich mußte Sie notwendigerweise sprechen. Das Ausbleiben des Junkers und die plötzliche Abreise des Vaters lassen nämlich nur die einzige Deutung zu, daß der Junker seine Schulden durch Flucht zu bezahlen gedenkt, und Sie müssen darum gewußt haben.«

 

 

 und bevor Wiedehopf in seiner Sorge um das Gleichgewicht des Bootes es zu hindern vermochte, hatte Jockeiklamm ihn mit beiden Armen umschlungen, sogar in den grauen Leinwandkittel sich festgebissen. Ein kurzer Kampf folgte, ein stummes, erbittertes Ringen auf Leben und Tod. Das vielfache Übergewicht der Kräfte war auf Seite Wiedehopfs. 

Die letzten Grüße.


Wie auf der Flucht vor sie verfolgenden Schreckbildern stürzte sie zu der Baronin hinüber, und vor ihr auf die Knie sinkend, barg sie ihr Antlitz laut weinend auf deren Schoß.

Die Baronin erschrak; dann wechselten die beiden Gatten einen Blick des Befremdens über sie hin. Ein langer Blick war es. Ein Blick böser Verständigung, einer unaussprechlichen Entrüstung. 
 

Der Doktor auf Reisen.


 In der Baronin Augen waren Tränen gedrungen, emporgesendet aus einem geängstigten Mutterherzen. Der Baron aber hatte Unica an sich gezogen und küßte sie auf die Stirn.

 

Ein unerwarteter Gast.

In Erwartung des Gastes hatte Molly eben die Lampe angezündet. Jetzt stand sie da, ein Bild lieblicher Jungfräulichkeit, mit ihren großen blauen Augen den Fremden unbefangen prüfend. Die peinlichen Eindrücke, denen sie vor Monaten unterworfen gewesen, schienen verrauscht zu sein. Wie in früheren Tage blühte auch heute ihr Antlitz in holder Jugendfrische, jedoch charakteristisch geschmückt mit einem Hauch träumerischen Ernstes. »Meine Tochter Molly,« stellte Charon sie vor, und er runzelte die Brauen, als er gewahrte, daß Joachims Blicke mit offener Bewunderung an den lieblichen Zügen hingen,
 

Über den Winter hinaus.


 Wie von einer Feder geschnellt, sprang Molly empor. Kein Laut verließ ihre Lippen, aber auf den Hohlweg flog sie zu und in diesen hinab, als wäre sie von Schwingen getragen worden.

Schluß.

Baruch war eingetroffen und sofort zu dem Baron in sein Zimmer hinaufgeführt worden. Mit einer gewissen Verlegenheit empfing dieser den etwas gebeugt gehenden, unscheinbaren alten Herrn, dessen überaus ehrerbietiges Auftreten durch etwas erzwungene, vornehme Höflichkeit lohnend. Er konnte sich des Argwohns nicht erwehren, daß hinter dem ruhigen Greisenantlitz mit den klugen, nicht die leiseste Regung verratenden Augen rücksichtslose, wenn nicht feindselige Pläne lebten. Die von Baruch vorgeschlagenen Zeugen, denen er die Rechnungen vorzulegen wünschte, folgten etwas später nach. Doktor Hasselfeld und Schierling waren es, die beiden einzigen Menschen außer Blisterchen, die zu der, weit zurückliegende Ereignisse berührenden Verhandlung hinzugezogen werden konnten. Ein dritter Zeuge, Charon, ein naturalisierter Amerikaner, schloß sich als Joachims Vertrauter ihnen an, nachdem er zuvor Blisterchen einen kurzen Besuch abgestattet hatte. Jetzt saßen alle beisammen in des Barons Zimmer,
 

»Herr Charon,« redete sie ihn freundlich an, während er ihre Hand hielt, und lieblicher erglühten ihre Wangen, »wir sind einander nicht fremd – ich weiß viel von Ihnen. Joachim schrieb mir alles – er ist Ihnen so dankbar – Sie werden mir von ihm erzählen?«
 

»So verweigere ich die Annahme des Vermögens,« versetzte Unica mit an Trotz streifender Entschiedenheit.
 
Vor der Baronin eingetroffen, senkte Unica einen flehenden Blick in deren Augen. Worte standen ihr nicht mehr zu Gebote, aber deren Hand ergriff sie, und die willig Folgende sanft emporziehend, verließ sie mit ihr das Zimmer. 
 
Drei Wochen waren seitdem verstrichen, als ein Dampfer angesichts der englischen Küste den Kanal zur Reise nach Amerika verließ. Hart am Spiegel des Schiffes standen Arm in Arm Charon und Unica. In ihrer Nähe saß Blisterchen. Trotz ihrer sechsundsiebzig Jahre hatte sie sich zu der Reise über das Meer entschlossen. Mit einem Ausdruck der Befriedigung suchte sie immer wieder ihren Junker Hans und dessen Tochter, ihren Liebling.
 

Der Verlag gab das Buch etwas später mit einem Schutzumschlag von Rolf Winkler heraus.

 

 

 

 

 

 

 

 

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