.

Dienstag, 21. September 2021

Die silbernen Berge von R. H. Francé illustriert von Fritz Bergen

Fritz Bergen  (1857 - 1941) ließ sich 1895 offiziell in München nieder. Er war Mitglied der Münchener Künstler-Genossenschaft, weiter gehörte er auch dem Verband Deutscher Illustratoren an. Er war Mitbegründer und 1927 Vorsitzender des Süddeutschen Illustratorenbunds, Landesgruppe Bayern. Er lieferte unzählige Zeichnungen als Vorlagen für die Holzstich-Illustrationen der populären Zeitschriften der Zeit, wie Die Gartenlaube, Illustrierte Zeitung, Leipzig, Vom Fels zum Meer, Neuer Deutscher Jugendfreund und das von Thekla von Gumpert herausgegebene Töchteralbum. Stuttgarter und Leipziger Buchverlage favorisierten seine „scharf charakterisierenden“ Illustrationen, die in den Jugendschriften und Abenteuererzählungen unter anderem von John F. Cooper, Charles Dickens, Carl Falkenhorst, Eugène Sue, Jón Svensson und anderen erschienen. Um 1900 illustrierte er für die Union Deutsche Verlagsgesellschaft die zweite Gesamtausgabe der Werke von Ottilie Wildermuth, herausgegeben von ihrer Tochter Adelheid. Außer in Holzstichen wurden seine Arbeiten als Strichätzungen und (Farb-)Autotypien umgesetzt. Um die Jahrhundertwende gehörte er „zu den meistbeschäftigten deutschen Illustratoren“. Als Maler arbeitete er bevorzugt in Öl aber auch in der Gouachetechnik (Tempera). Er bevorzugte dabei „dramatisch bewegte, mit Lichteffekten akzentuierte Szenen“. Bergens Stärke lag in der „Gestaltung von Milieu und Ambiente“. Für das Leipziger Buchhändlerhaus malte er 1888 das Porträt des Verlegers Carl Friedrich Ernst Frommann.(Wikipedia)

 
 

 

 

 

Eine sonderbare Herberge 


Fast unvermittelt war die kalte Februarnacht hereingebrochen, als der Sturmwind von Westen her schweres Schneegewölk herantrieb. Wie ein Heerhaufen gespenstisch schwarzer Reiter zog es lautlos über Augsburg dahin, das sich beeilte, seine Tore zu schließen, als nun die schwere Bummerin von Sankt Afra die siebente Stunde anschlug und die zahllosen kleinen und kleinsten Glöckchen der Kirchen und Kapellen ihre helleren Stimmen erhoben und heimelig den Abendfrieden einläuteten.

 

Da stieß er an eine vermummte schmächtige Gestalt, die da unschlüssig lehnte, und die er fast umgerannt hätte, als er um die Ecke bog, wo jener offenbar Schutz vor dem Wind gesucht hatte. Eine Hoffnung sprang in ihm auf. »Um Christi und aller Heiligen willen, edler Herr, nur einen Schilling! Ich habe gestern und heute noch keinen Bissen im Leibe,« sagte er flehentlichst.

 


Also das waren die Stadtarmen von Augsburg, die da in einem Kellerloch in unbeschreiblichem Schmutz und Verwahrlosung hausten!

Ein altes, dickes Weib spielte die Rolle der Hausfrau und bot den Ankömmlingen zutraulich die Hand. Auf einer Bank am Ofen, der vor Hitze glühte, saß ein wahrer Hüne. Aber er war erschrecklich mager, hatte ein Auge mit einem schwarzen Pflaster überklebt, und das eine Bein war verkrüppelt; nach rückwärts war es in eine Schiene gebunden, die auf einem Holzfuß steckte, und an Stelle des Fußes war nur ein unförmlicher Ballen zu sehen.

Auch ein junges Weib und ein besser gekleideter Mann mit einem Gesicht, das so gewollt freundlich aussah, daß es unangenehm wirkte, war da, und er tat unendlich zuvorkommend mit dem Fremdling, den die ungewohnte Wärme auf das süßeste erschlaffte.

 

Im Fuggerhaus


War das ein Riesenhaus und eine Pracht am Weinmarkt, wie er solche in seinem Leben nie gesehen! In dem fränkischen Dörfchen, wo seine Jugend verfloß, bis der Würgengel Pest einbrach, ihm die Eltern raubte und ihn in die Welt stieß, da war der größte Prunk im Schlosse nur ein einfach getäfelt Zimmer. Hier aber gab es deren hundert und aberhundert im Hause des Anton Fugger, des großmächtigen Freundes des Kaisers Karl des Fünften, bei dem der Kaiser abstieg und aus und ein ging, so oft er in Augsburg weilte.


...und ein ganzer Zug Knappschaft gekommen war von den Tiroler Bergwerken mit zwanzig Fuhren. Sie mochten kostbare Ladung enthalten, denn ein ganzes Fähnlein Reisige war aufgeboten zu ihrem Schutze. Das war wohl einer der berühmten Silbertransporte der Fugger, von denen man sich in der Stadt so manches Märchen erzählte, z. B. daß aus ihnen das Türmlein gefüllt würde, das bis zum Rande voll war von allerhand Kostbarkeiten, und das der Kaiser und sein Gesinde voller Staunen bewundert, und wovon sie gesagt, damit könne man ein ganzes Kaisertum bezahlen.


Ein »Musenberg« von weißer Leinwand ward auf den Markt geführt, und darin saßen verborgen Musikanten, die eine himmlische Musik vollführten. Auf dem Wagen aber thronte Frau Venus, umgeben von Grazien und pausbäckigen Englein. Jetzt hielt das Gefährt vor der Brautloge. Da entstand Bewegung im Liebesberg. Die Göttin sandte Amor aus, der trat an die Spitze des Wagens, zielte mit dem Bogen, und so geschickt hatte er geschossen, daß ein Strauß schönster Rosen der Braut gerade in den Schoß fiel. Stürmisches Beifallsklatschen belohnte den Geschickten, der, sogar unter der Schminke errötend, nun eine wahre Blumenschlacht begann, die in ein allgemeines Blumenwerfen ausartete …

Aber als er kopflos forteilen wollte, vertrat ihm die dicke Wirtin den Weg. »Armer Junge,« sagte sie bedauernd, »man schreit nach Euch. Kommt, für den Augenblick kann ich Euch verbergen!« 

 

Das Waldheim und seine Bewohner

 

Da raschelte es an der Laube, und der alte Gelehrte, mißtrauisch und scheu, wie er stets war, sprang sofort auf, halb mit drohender, halb mit ängstlicher Gebärde. Ein Mann stand vor dem Haus. Wer er war, konnte man in der eingebrochenen Dunkelheit nicht ausnehmen. Nur so viel sah man, daß es ein kräftiger, verwahrlost aussehender Mensch in der gewöhnlichen Lumpenkleidung der Vaganten war. Der mächtige Baumast, den er als Bergstock bei sich führte, gab ihm ein besonders bedrohliches Aussehen. »Ich wollte um Nachtlager bitten um Gottes Barmherzigkeit willen und eine Abendsupp',« sagte er das gewöhnliche Sprüchlein der fahrenden Gesellen her. Durch den geschäftsmäßigen Ton verriet er, daß er mit den Gebräuchen der Störzersippe wohlvertraut war.

»Und da überfällt Ihr heimlich des Nachts ein gutfrommes Haus!« sagte zornig ob des Spähers Lampadius. »Eure Sippschaft hat uns schon arm gefressen, wir haben nichts zu verteilen, und auf einem Mooslager schläft Ihr ebensogut!« Das hätte noch gefehlt, einen von diesem Gelichter zu beherbergen, damit er des Morgens den Ausmarsch erspäht und sein Volk auf das Haus hetzt.

 

»Es wird heute schlecht Wetter,« sagte besorgt der Vater. Es wäre schier besser, wir kehrten um.« Er hatte ohnedies eine unerklärliche Bangigkeit im Herzen seit dem Abend; sie war es, die ihn veranlaßte, seinen ursprünglichen Plan zu ändern und die Tochter mitzunehmen. 

 

. Ein Stein löste sich unter ihrem Schuh, und es dauerte einen, zwei, vier, sechs, sieben Augenblicke, bis er auffiel, und dann polterte er wieder und wieder … es war also eine unermeßliche Tiefe da unten.

Nachdem sie sich etwas gefaßt, versuchten sie Auswege. Es mußte einen geben, denn sie waren doch auch hergekommen. Die Angst schnürte Sibyllen die Kehle zu, ihre Pulse flogen, als sie, eng an die Wand gedrückt, Schritt für Schritt am Gesimse hinging, das Gesicht gegen den Berg gewendet, damit sie nicht in die grauenhafte, magisch lockende Tiefe zu sehen brauchte, die ihr wie mit einer unhörbaren Stimme zurief: Komm, komm herab! Spring herab, dann ist die ganze Angst aus.

 


Der neue Diener


Er trug Holz ein für den Winter, er besserte das Hausdach aus, er leitete den Bach am Hause ab, der die vorliegende Wiese sumpfig machte, er arbeitete von früh morgens bis abends spät, ja er hatte für einen Mann ganz absonderliche Neigungen, denn eines Tages überraschte ihn die Urschel, wie er mit vorgebundener Schürze die Kupferkessel und Zinnbecher putzte, und er tat das mit so glühender Begeisterung und solcher Sachkenntnis, wie es für einen Bergmann geradezu ungewöhnlich war.

 

...an dem der Vater dem Jost eröffnete, daß, da er als früherer Bergmann wohl lieber an der Esse bei der Zubereitung der Mineralien und Berggewächse arbeiten werde, er nun in Zukunft jeden Nachmittag an seiner Hand und mit Peppo in die Geheimnisse der Alchimie eingeführt werden solle und damit schon in den nächsten Tagen beginnen könne, sobald es nur der Zustand des Vaters erlaube.


Beim Alchimisten

 

Das war das Reich des Peppo. Hier schaltete er wie ein böser Geist im Vorhof der Hölle, und fratzenhaft zuckte der Widerschein der züngelnden Flammen über sein dunkles Gesicht, das nun noch unfreundlicher wurde, als sein Herr und Meister ihm den neuen Laboranten als Schüler empfahl. Sein einziges Auge ruhte tückisch und lauernd auf Lampadius, der sein unbefangenstes Gesicht machte; dann ging er auf den blonden Jüngling zu, erfaßte seine Hand und sagte mit unheimlicher Lustigkeit: »Sollst guter Kamerad mir sein, Jost, kann dich brauchen, wird mir schon lang' zu viel Arbeit. Auf gut Freundschaft, amice.«


Da gab Peppo dem Jörg einen heimlichen Wink. Mit einem Augenzwinkern auf die beiden schlafenden Frauen flüsterte er: »Komm, ich weiß einen Ort, wo wir sehen können, was er treibt … Der beschwört den Teufel!« Und leise wie die Katzen schlichen sie hinaus zum Bodenfenster, wo vor Wochen Sibylle nach dem treulos gewordenen Kameraden spähte. Sie kamen gerade noch zurecht, denn schon nach wenigen Augenblicken erlosch das Licht. Aber auch Jörg war nun schon genügend eingedrungen in die Irrgänge der schwarzen Kunst, um sofort zu verstehen, was die seltsamen Zurichtungen zu bedeuten hatten, inmitten deren ihr Meister saß. Ein großer Kreis war um ihn gezogen, und auf ihm lagen abwechselnd je ein Tierschädel und zwei gekreuzte Messer. Die Innenfläche des Kreises aber war gleichmäßig belegt mit Stücken der Blende, dem ganzen Vorrat, den der alte Gelehrte, unbekannt woher, besaß. In der Mitte aber hockte er auf dem Boden, neben sich das Licht und ein Becken mit glühenden Kohlen, in das er von Zeit zu Zeit ein Räucherwerk warf, daß zischend der Dampf aufstieg und ein eigen angenehmer Geruch das Haus durchdrang. In Händen aber hatte er ein mächtig Buch, daraus er murmelnd las. Aber jetzt warf er Räucherwerk auf die Lampe, und sie erlosch mit Qualm. Und wie schreckhaft: im Finstern mußte er wohl mit einem Hammer auf die Steine schlagen, denn man hörte den seltsamen rhythmischen Wirbel, und überall, wo er hinschlug, entstand auf den Steinen ein gespenstisch Leuchten, das einige Sekunden anhielt, so daß man im unbestimmten Schein die Silhouette des alten Mannes wohl erkennen konnte, der jetzt mit lauter Stimme die Namen der kabbalistischen Dämonen rief.


In den Silberminen

 


Er war kein Feigling; die Berge und ihre Schrecken ängstigten ihn nicht, im Gegenteil, er empfand es sogar als ein Hochgefühl, an einem freien Punkt zu stehen und in grausige Tiefen zu blicken oder so recht mit dem Einsatz der Kraft ohne Weg sich den Pfad selbst zu finden. Und so zog er denn voll innerer Erregung und freudiger Spannung gegen Abend heimlich, damit ihn niemand bemerke, zur neuen Pfannenschmiede, die man unlängst aufgetan, um sich die wildbrausenden Wasser des Vomperbaches dienstbar zu machen. Auch hier hatte man längst Feierabend gemacht, und idyllisch ruhig lag die Schmiede im engen Kessel, der sich sofort zur Felsenschlucht verdüsterte, aus der schäumend und tosend ein grünes Berggewässer hervorbrach.

 

Da bog er zwischen zwei hohen Blöcken in einen Engpaß, dessen eine Wand überhing. Und darunter – war ein Feuerplatz.

 

Er war im Triefestollen in Arbeit und hatte dahin gar weit zu gehen. Mit ihm wanderten Hunderte und wieder Hunderte, und an jedem Seitenweg, von allen Hängen, aus allen Häusern traten neue Knappen herzu und schlossen sich dem Weg zu den Gruben an. Er hatte etwas Imponierendes, dieser gleichmäßige Tritt der Arbeiterschar, wie sie, die meisten in einem verschlafenen Schweigen, da sie den Sonntag über Gebühr ausgenützt, so dahinzogen, gewöhnlich schon in der unkleidsamen Knappentracht von schmutzigem Schwarz mit dem Schutzleder hinten und der niederen, runden Bergmannskappe, an der oft auch schon das kleine Öllämpchen aufgesteckt war, das des Bergmanns unterirdisch Tun beleuchtet.

 

Nur die zwei Wärter waren anwesend und verzehrten in der Finsternis ihr einfaches Mahl von Schwarzbrot und Speck. »Ös freßt's allaweil, ös Tagdieb,« bewillkommnete sie der gemütliche Tiroler und schloß gleich eine kleine Morgenunterhaltung an den freundlichen Gruß. Das tägliche Erscheinen dieser Knappen bedeutete gewissermaßen die Morgenröte in dieser ewigen Finsternis, deren Bewohner schon seit langem nicht mehr ans Tageslicht gestiegen waren. Man sah es ihnen auch an an der faltigen, fahlen und durchsichtigen Haut, an dem blutlosen und doch aufgetriebenen Körper. Es war ein alter Mann, den sie Blaurock nannten, und der selbst nicht mehr wußte, wie er sonst geheißen, und ein noch junger Mensch in armseligen Lumpen, der bei jedem Wort lachte und sich gebärdete wie einer jener Idioten, an denen Tirol damals noch sehr reich war.

 

Aber was war das? Vor ihm regte es sich. War das nicht ein Tier, das schnaufend dahinkroch? Doch nein, es hatte ja auch ein Grubenlicht, und klappernd schob es eine Art Holzschemel nach. Aber dieser Mensch, den er nun mit dem Namen Linhard anrief, war so sonderbar mißgestaltet, daß man nur mit Grauen an diesem unheimlichen Ort auf ihn blicken konnte. Es fehlten ihm beide Beine; der Rumpf endete mit einem in Fetzen gewickelten Stumpf, an den eine Art hölzerne, breite Schlittenkufe angeschnallt war. Auf ihr rutschte der Unglückliche über die rauhen Steine. Er wälzte sich am Boden und hatte zum Schutz des einen Armes einen Schemel umgeschnallt, auf den er sich stützte. Um den Leib gebunden aber hatte er einen Strick, und an dem hing ein kleiner Förderwagen mit vier plumpen Holzrädern.


Jörg saß in seinem einsamen Gang, schichtete seine Steine auf, und als er von der Arbeit abließ, war es so grauenhaft still um ihn, als läge er lebendig begraben da. So war ihm auch zumute. Der Mißerfolg des gestrigen Tages ließ ihn auf einmal die schreckliche Änderung seiner Lebenslage fühlen. Erinnerungsbilder tauchten auf, Erinnerung an die schöne Welt auf der Bergeshöhe, von der er auf so viele zackige, sonnenbeglänzte Gipfel gesehen. Von ihnen mußte man wohl die grünen Wälder erkennen, vielleicht sogar das kleine Waldhaus, das er so voreilig und undankbar verlassen.

 

Wenn der Graf Anton oder auch nur der Pfleger oder der Bettelvogt aufs Amthaus ritt, liefen ihm ein paar Dutzend oft auch im Winter nackter Kinder voraus und kreischten bettelnd um einen Pfennig; alte Weiber rannten mit den Pferden im Schritt, deuteten winselnd auf ihre Lumpen und heulten, als seien sie am Verhungern. Aber auch alte Bergleute hoben bittend die Hände, und man sah ihren abgezehrten Mienen und bleichen Wangen an, daß sie nicht übertrieben. Wenn dann der Vorreiter mit der klatschenden Peitsche in den Haufen fuhr, weil das Gellen, Schreien und das Gewühl zu arg wurde, dann stob der wohl auseinander, aber in der sicheren Ferne hoben sich dann die Fäuste, und aus den Verwünschungen sprach langgenährter Haß. 

 

Die arme Frau, die mit ihrem Kinde und kränkelnden Mann den Schragen neben ihm bewohnte, bat in solchen Nächten händeringend um Ruhe für den Mann und ihr einjährig Büble, das, immer aus dem Schlaf geschreckt, mit lautem Weinen der Mutter Bitten unterstützte. Sie war ein stilles, blasses Wesen, die Koflerin, die vielleicht einmal bessere Tage gesehen und ein feineres Wesen an sich hatte. Ihre großen, braunen Augen blickten stets ängstlich, so sehr hatten sie die Zustände in dieser Hölle verschüchtert, und auch ihr Mann, ein verständiger, überaus ruhiger, schlecht aussehender, baumlanger Mensch, wußte sich vom allgemeinen Treiben abzusondern; ja als Jörg einst an einem verregneten Sonntag, da es nichts war mit dem Vompertal, in seinem Bette den Tag verschlief, belauschte er den Kofler, wie er mit seiner Frau, da sie sonst allein waren in der Stube, in einem gedruckten Traktätchen las. Und ihr Lippengemurmel klang wie Beten und Psalmodieren, als er aber eine Bewegung machte, als ob er wach sei, da verbargen die zwei hastig ihr Heft und waren sichtlich erschrocken, wie wenn sie Unrechtes getan hätten.

 

Sie saßen zu sieben im Empfangssaal des alten Blaurocks, und es war beim Schein der fünf Grubenlichter gar nicht einmal so unbehaglich in dem warmen, nie gelüfteten Raum, der wenigstens hoch genug war, daß man gerade darin gehen konnte. Auf der Holzbank saßen sie nebeneinander, der Schwabe und sein Tiroler Freund, der blinde Pferdewärter und der Trottel-Barthele, Jörg und der beinlose Erzführer, sowie ein Feuersetzer aus ihrer Grube, der auch gute Kameradschaft hielt mit ihnen. Die flackernden Lichter warfen groteske Riesenschatten hinter sie an die Wand, und die Pferde, von denen heute nur noch die Hälfte Erz zu führen hatte, stampften und scharrten im Verschlag neben der Bank, wo ein eifriges Gespräch begann.

 

Er war auf das maßloseste erstaunt über solche Feigheit, denn man hatte doch gut eine Stunde Zeit gehabt, bis sich der Gang mit Wasser füllte, und hätte dem Unheil Einhalt gebieten können. Als er aber eine solche Bemerkung machte, trat einer der Zimmerleute auf ihn zu, packte ihn kurzerhand bei der Kehle und sagte rauh: »Bursche, wennst nicht gleich und für immer still bist, hau' ich dir mit dem Fäustel den Schädel ein. Treff' ich dich net, trifft dich ein anderer!«

 

Sie gingen mit großem Gefolge den langen Stollen hinab. Der Syndikus des Herrn Grafen und der Bergrichter waren selbst mitgekommen und dazu viel Schreibervolk. Eine große Menge Knappen drängte sich um sie, um das merkwürdige Schauspiel der mit Zauberkräften begabten Männer zu genießen, denen die Wurzel in der Hand mit unfehlbarer Sicherheit jede verborgene Erzader anzeige. Es waren ein sehr alter, weißbärtiger und zwei jüngere Männer, alle höchst würdig anzuschauen in ihren wallenden schwarzen Mänteln, die trotz der Hitze im Stollen reichlich mit Pelz besetzt waren. Sie kamen soeben von der Messe, denn die strenggläubigen Männer wollten kein Teufelswerk tun und versicherten sich erst der geistlichen Stärkung, ehe sie an die Zaubermacht der Erzdämonen rührten. In der Hand trug jeder einen Zweig von der Form, wie ihn die Knaben mit Vorliebe zu ihrer Schleuder verwenden. Sie hielten ihn zwischen zwei Fingern frei aufgehängt gegen die Wand, je einer rechts und links, der dritte aber in der Mitte des Ganges bald dem Hangenden, bald dem Liegenden zu. So schritten sie dahin, langsam und feierlich, man hörte ihr leises Murmeln in der andächtigen Stille der Zuschauer.

 

 

Die Söldner stürzten hinein und vergewisserten sich der armen Frau, die, einer ersten Regung folgend, sofort flüchten wollte, als sie die Häscher sah. Sie schrie und heulte wie wahnsinnig, und man mußte sie gebunden wegtragen, ihrem Manne nach ins Gefängnis, wo er schon seit Morgen fest lag. 

 

Ein verhängnisvoller Beschluß

 



Heute war der Herr zu Freundsberg in rosigster Laune, denn das Angenehmste war ihm zugestoßen: Gäste waren da aus dem geliebten Vicenza auf dem Weg nach Augsburg, und dazu hatte er alle bitten lassen aus der Stadt, die ihm lieb, und sogar jene, die ihm nicht lieb, wenn sie nur repräsentabel waren.

Die Mittagstunde war vorbei, und man war am hohen luftigen Söller gelagert nach italienischer Art, und die ungeschlachten Tiroler Moideln, die besser im Stall als im Herrensaal zu Hause waren, suchten nach seiner Anweisung die stummen Sklaven Venedigs zu imitieren, die geräuschlos umherschleichen und Sorbet anbieten sollten nach neuer türkischer Mode.

»Donna Isabel,« sagte der Hausherr zu der noch sehr jungen und für den Besuch reich geputzten Nichte seines Gastfreundes, des Herrn von Castelbianco, »wie war doch das köstliche Gedicht, das Ihr gestern abend uns so fein vorgetragen habt? Die ganze Nacht ging es mir im Kopfe herum, und ich konnt' den Reim nicht wiederfinden.«

»Ihr meint wohl das Sonnett des Bembo:

Mit lächelnder Wehmut denk' ich ans Schwinden der Zeiten,
Da so viel süßes Genießen noch nicht geschlürft habe ich,«

erwiderte lächelnd seine Partnerin.

 

Also ging er gleich scharf ins Zeug. Der klageführende Aufseher sollte hereinkommen! Der katzbuckelte und wand sich vor Demut und war recht auffällig verbunden, damit man ihm die erlittene Unbill auch schon von ferne ansehen konnte.

 


Sehr freundlich, mit zuckersüßer Miene trat sein Schützling in die Stube und verbeugte sich tief vor den Herren, die, namentlich der Schreiber, ihn scharf anblickten.

»Wie nennt Ihr Euch?« fragte ihn voll Widerwillen der Landrichter. Es war ihm zumute, als müsse er eine giftige Kröte berühren.

»Hans Schlaffer, zu dienen Euer Herrlichkeit,« sagte unterwürfig und doch frech zugleich der Verräter. »War Leibdiener der Frau Gräfin Regina Fugger …«

 


Ein Ende mit Schrecken

 

In der Schenke »Zum wilden Mann« war eine frohe Zecherschar beisammen, fast ausschließlich Erzknappen, die sich beeilten, die Löhnung in Branntwein umzusetzen, da ihren ausgepichten Kehlen der Wein nur noch geringe Reizung bot. Dem Völkchen konnte keine Sorge an; »froh gelebt, ist doppelt gelebt,« war ein Lieblingsspruch der Knappen aus alter Zeit, und heute schienen sie das alte Wort mehr denn je zu beherzigen. Lautes Gelächter schallte ununterbrochen durch den verrußten, unsauberen Raum; da spielte man Würfel, dort gröhlten einige Angeheiterte rauhe Lieder, und von Unzufriedenheit oder Not war nichts zu merken.

Was sollte man tun? Hans machte wieder Licht, auf die Gefahr hin, von der Grubenrunde gesehen zu werden. Aber – die Hand zitterte ihm, daß das Licht heftig flackerte. Die Decke war wieder um zwei Hände tiefer. Sie sank also doch. Unmerklich, langsam, wie es des Schwemmsandes Art. Schon war der Schacht an dieser Stelle so niedrig, daß man nur noch kriechen konnte.

 

Die Entdeckung des silbernen Berges

 

Das waren treuherzige Menschen. Der erste Blick verriet es, wenn sie auch, in Tierfelle gekleidet, mit verwildertem Bart und Haupthaar, mehr Wilden glichen, wie er sie einmal zu Augsburg konterfeit gesehen in einem Buch über das Neue Indien, in dem die Herren Welser ein Königreich erwarben.

 

Da schritt er am niedrigen Dach des mit Steinen beschwerten Stalles vorbei. Gewohnheitsgemäß sah er seit langem jeden Stein an. Es gab ihm einen Ruck, als ob sein Herz stehen bleiben wollte. Das war ja die schönste Zinkblende, der vielgesuchte Galmei, wie er in Schwaz nicht schöner mit dem Silber vergesellschaftet war.

 

Fröhlich ging er dahin in der schönen Mondnacht und schaute nach dem Glücksgestirn, das ihm einst so freundlich geleuchtet, als er aus dem Waldhaus zog, und das ihn wirklich nicht verlassen hatte. Das Heu auf den zum zweitenmal gemähten Bergwiesen duftete schwer und süß, die Grillen zirpten, als er aus dem Walde trat, – da lösten sich aus dessen Dunkel zwei Schatten, Spieße blitzten im hellen Schein, und eine schwere Hand packte ihn am Arm.

»Woher des Wegs?« sagte barsch sein Angreifer. Er wollte sich zur Wehr setzen, da stürzten sich die Knechte über ihn, ein mächtiger Schlag betäubte ihn für den Augenblick, und schon war er gebunden und wehrlos gemacht von den drei Landsknechten, die hier auf Geheiß des Landrichters streiften.

 

 

Gefangen und wieder befreit

 


Der Wächter nahm das Licht mit. »Sei net verstockt,« meinte er bieder mit einem bedauernden Blick auf den wohlgestalteten jungen Menschen, »hat no jeder gestanden, wenn's ihm d'Seel aus dem Leib haspeln. Geh in dich, d'Straff is milder für solche, die freiwillig gestehen. Wenn's dem Peinrichter bekennen willst, brauchst nur an der Tür z'pumpern. 's hörn ma schon.« …

 

 
Ein Vöglein hörte er zwitschern. Wo konnte er sein? Nirgends anders als im Turm zu Freundsberg. Dort war ja das peinliche Gericht mit der Folterkammer.
 
 
Schon eine halbe Stunde später zog ein kleiner Trupp in aller Stille durchs Tor und marschierte gegen Vomp. Zwei Knechte waren es mit Hauen und Schaufeln, die sollten graben; dann zwei Bewaffnete, die zwischen sich an einem Strick den »Führer« führten, und hoch zu Roß der Herr Syndikus hinterdrein. Die Knechte waren schwer beladen mit Mundvorrat aller Art, mit Stricken und Säcken und Beilen, sogar ein Fäßchen Wein führte der Herr Syndikus mit sich, denn er war nicht gewohnt zu darben, und wenn er nach der Welt vorgeschriebener Ordnung von den Knechten harte Arbeit verlangte, so ziemte sich für ihn gar keine. Darum hatte auch Jörg einen Sack umgeschnallt. Nur die Bewaffneten waren aller Beschwer ledig; ihnen war es auf die Seele gebunden, den Mann in ihrer Mitte nicht außer acht zu lassen, keinen Augenblick. 
 
Er mußte hinuntersehen und sah zwischen seinen Füßen die schaurige Tiefe. Er hing an der freien Felsenwand, und sie schien zu wanken, zurückzuweichen, sich über ihn zu neigen. In den Füßen fühlte er, wie die Kraft wich, er hatte das Gefühl, er könne nicht mehr stehen, er müsse loslassen und hinausfliegen in den gähnenden Rachen da unten. Das war der Schwindel. Und nun begann sich auf einmal leise, dann schneller die Landschaft um ihn zu drehen, die Bergspitzen tanzten auf und nieder, und er konnte keinen Schritt mehr tun.
 
 


Die Flucht

 

Als der Morgen graute, machte er sich auf. Zuerst überaus behutsam, sich hinter jeden Steinblock duckend, hinter jedem Baum Deckung suchend, jeden freien Wiesenfleck vermeidend, dann aber, als sich gar nichts rührte und er langsam höher hinaufkam auf die Bergesflanke, immer kühner, bis er schließlich sogar vorzutreten wagte auf eine Zinne, um Umschau zu halten und sich zurecht zu finden.
 
 
Die Knappen hatten ihm schon erzählt, wie im Karwendel das Gestein brüchig sei, nun erlebte er es selbst, und es bedrohte ihn mit hundertfacher Gefahr. Da liegen wieder Platten mit feinem Schutt bedeckt. Der eisenbeschlagene Schuh vermag nicht zu haften an ihnen; er zieht ihn aus und sucht mit bloßen Füßen seinen Weg. Bald vorgebogen, bald weit ausgespreizt oder sich niederkauernd, mit Händen und Füßen nach Halt strebend, stets bedroht vom trügerischen Gestein, so klimmt er, und die Stunden vergehen in sich stets erneuernder Pein.
 
 

 
 

Ein vereitelter Überfall

»I hab's net tan, i hab's net tan,« wiederholte der arme Mensch rastlos bei jeder Gelegenheit und hob die Finger zum Schwur als Zeugnis seiner Unschuld. Jörg wußte es sich nicht zu deuten, auf einmal aber strömte ihm reichlich Licht zu, als der Batzentoni unvermutet ihn wie geistesabwesend anstarrte und dann drohend meinte: »Jost, schwör' bei Gott, du warst net dabei! Wirst mich auch net anzeigen. Der Schwab hat g'sagt, der Schlaffer hat uns alle anzeigt, der muß hin werden noch in der Nacht! Der Schwab und der Barthele selbander ham's g'macht.«

 

»Jost!« – »Bella!« und weinend lag das Mädchen in seinen Armen. Ohne zu bedenken, was er tat, hatte er sie geküßt, und ohne Scheu hatte sie den frischen roten Mund dargeboten.

»Jost!« – »Bella!« und weinend lag das Mädchen in seinen Armen. Ohne zu bedenken, was er tat, hatte er sie geküßt, und ohne Scheu hatte sie den frischen roten Mund dargeboten.

 


Daheim

 

»Hilf, Himmel, mein Galmei!« Mit Lachen eilte der junge Silberschmied zu seinem Tiegel, unter dem das Feuer fast ausgegangen war. Doch das Lachen erstarb ihm in der Kehle. War das der Tiegel noch? Eine geronnene goldgelbe Masse steckte darin, der schönste Messingguß. Blitzschnell durchzuckte es sein Hirn: das war des Rätsels Lösung! Sie hatten früher stets die Erze überhitzt; bei gelindestem Feuer nur lieh der Galmei seine »Kadmiumerde« dem Kupfer und vermählte sich mit ihm zum Messing.

 

Drüben aber schimmerten, hoch und kühn emporsteigend, in ewiger Majestät gelassen thronend über allem Menschenleid und aller Menschenfreude, zart wie Hauch und doch so mächtig, die silbernen Berge.  

 


 

 







Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen