Winnetou IV erschien 1910 im Verlag Friedrich Ernst Fehsenfeld, Freiburg i.Br. Die tschechische Ausgabe mit den Illustrationen von Věnceslav Černý erschien im Verlag A. Novel, Prag, 1922.
Siebzehn Jahre nach Abschluss der ursprünglichen Winnetou-Trilogie erschien dann dieser vierte Teil und war zugleich eine Art Schlussstrich unter die gesamten Abenteuer Old Shatterhands
in Nordamerika. Der Karl-May-Verlag änderte 1914 den Titel, weil der
ursprüngliche die Leser eine Abenteuergeschichte im alten Stil des
Autors erwarten ließ.
Nach der Teufelskanzel
„Uff!“ sagte Athabaska. „Hier hat Jemand in der Sprache der Liebe gesprochen! Wer mag das gewesen sein?“
„Ein Bleichgesicht jedenfalls nicht“, antwortete Algongka.
Er bückte sich nieder und hob einige der Blumen auf, um sie zu betrachten. Athabaska tat dasselbe. Beide wechselten einen schnellen, überraschten Blick.
„Sie sind noch frisch, vor noch nicht einer Stunde abgeschnitten!“ meinte Athabaska.
„Und vor noch nicht einer Viertelstunde hierhergelegt“, stimmte Algongka bei, indem er die Spuren unserer Füße, die im Grase noch deutlich zu sehen waren, betrachtete. „So sind es also doch Bleichgesichter gewesen!“
„Ja, diese hier! Sprechen wir mit ihnen?“
„Wie mein roter Bruder will. Ich überlasse es ihm.“
Die Häuptlinge hatten ganz richtig vermutet. Wir hatten die Blumen nicht von Niagara mitgebracht, sondern sie waren von hier, und zwar ganz frisch geschnitten. Das Herzle hatte zwei davon zurückbehalten, für sich eine und für mich eine. Die bisherigen, kurzen Sätze der beiden Indianer waren im Apatsche gesprochen worden. Jetzt legten sie die Blumen sehr zart und vorsichtig wieder dahin, wo sie gelegen hatten, und Athabaska wandte sich in englischer Sprache an uns:
„Wir glauben, daß ihr die Spenderr dieser Blumen seid. Ist das richtig?“
„Ja“,
Er ging von vorn auf den Hengst zu, um ihn am Zügel zu fassen; ich aber war schneller als er. Das Pferd, welches ihn kommen sah, dachte, er wolle in den Sattel. Es wendete ihm Kopf und Brust zu und schnaubte ihm drohend entgegen. Das benutzte ich. Mit einigen schnellen Schritten kam ich von hinten - - ein kräftiger Ansatz, ein Sprung, ein Schwung, und ich saß oben. Nun aber schnell in die Bügel und an die Zügel! Da ging der Schimmel auch schon mit allen Vieren in die Luft. Der Peon war gezwungen, auf die Seite zu springen, um nicht von den Hufen getroffen zu werden.
„Hund!“ brüllte er mich an. „Das sollst du mir büßen!“ Und zu seinen Kameraden gewendet, fügte er hinzu: „Kommt schnell hinein in den Hof! Die Abmachung darf nichts gelten! Er muß sie alle wieder herausgeben, sie alle!“
Er rannte mit ihnen fort. Da ich nun einmal auf dem Pferd saß, konnten sie mich nicht mehr daran hindern
Am Ohr des Manitou
„Ich schlich mich näher, bog um eine Ecke des Gebüsches und sah - - sah - - sah das schönste Mädchen, ja bei Gott, das schönste, das allerschönste Mädchen, welches meine alten Augen, so lang ich lebe, jemals erblickten! Ich bitte, es mir zu glauben! Sie saß auf einem hohen Steinblock des Ufers und schaute nach Osten, wo die Sonne soeben erschien. Sie war in weiche, weißgegerbte Tierhaut, mit roten Fransen verziert, gekleidet, und ihr langes, dunkles Haar hing, mit Blumen und Kolibris geschmückt, weit über den Rücken herunter. Als die Kolibris im ersten Strahl der Sonne zu funkeln begannen, erhob sie sich von ihrem Sitze, breitete die Arme aus und sagte im Ton der Andacht und Bewunderung:
„O Manitou, o Manitou!“
Weiter sagte sie nichts.
Wir sahen sie schon von weit draußen her kommen, über einen fernliegenden, kahlen Bergesrücken. Sie ritten einzeln hintereinander, im sogenannten Gänsemarsch, ganz so, wie es früher geschah, als man den Westen noch als „wild“ bezeichnete. In jener Zeit aber hätten sie sich gewiß sehr gehütet, ihren Weg über diesen nackten Berg zu nehmen, der ihnen so wenig Deckung bot, daß man sie sofort entdecken mußte. Da es sich um keinen Kriegszug handelte, wenigstens jetzt noch nicht, so waren sie noch nicht mit den Farben des Krieges bemalt, an denen es möglich ist, die Stämme und Nationen genau von einander zu unterscheiden. Dennoch gab es einige Kennzeichen, besonders in Beziehung auf ihre Lanzen und besonders auf die Anschirrung, Ausschmückung und Halfterung ihrer Pferde, aus denen ich ersah, daß wir es da mit Utah-Indianern zu tun hatten, und zwar in sehr gemischter Zusammensetzung.
Am Nugget-tsil
Er hob den Spaten hoch empor und sah mich mit drohenden Augen an. Sie waren wie mit Blut unterlaufen. Ich trat zurück und fuhr in beruhigendem Tone fort:
„Darf man denn nicht einmal fragen, warum Ihr jetzt gerufen habt?“
„Das will ich Euch wohl sagen: Ich bin auf Gold gestoßen.“
„Wirklich?“
„Ja - auf etwas Hartes, Breites. Das Loch ist zu schmal. Ich muß es größer machen. Aber ich allein, ich allein! Wer mir zu nahe kommt, den schlage ich nieder, sei er, wer er sei!“
Am Deklil-to
Wir gingen wieder hinein, legten sie an und stiegen hinauf. Sie reichte grad bis zu der niedersten der noch vorhandenen Stufen. Von dieser aus stiegen wir weiter nach oben, ohne Geländer, auf frei aus der Mauer ragenden Steinen, die als Stufen galten. Das war nicht ungefährlich. Ein jeder dieser Steine mußte geprüft werden, bevor man sich ihm anvertraute. So kamen wir an vielen Nischen vorüber, deren Inhalt wir untersuchten.
Am Mount Winnetou
"Wer von euch ist Old Shatterhand?“ fragte er, indem sein Blick uns prüfte.
Bei seinem Erscheinen war jedermann verstummt, so tief wirkte seine geheimnisvolle, unwiderstehliche Persönlichkeit. Als er aber diesen Namen nannte, flüsterte es rund um mich her:
„Old Shatterhand? Old Shatterhand? Ist doch nicht hier! Kann unmöglich hier sein! Oder doch, oder doch?“
„Ich bin es“, antwortete ich, indem ich hervortrat und langsam auf ihn zuschritt.
Kämpfe
Er schwankte hin und her. Der Adler schrie in einemfort. Sein Kreischen klang über Berg und Tal, das jedermann zur Höhe schauen mußte. Da öffnete der Knabe die Augen. Er sah, daß er fiel, beständig fiel, aber nicht stürzend, sondern langsam, in einer abwärts gehenden Schraubenlinie. Der Adler wehrte sich. Er wollte nicht nieder. Er arbeitete mit allen Kräften seiner Schwingen. Aber der Knabe war zu schwer; der zog ihn hinab, bis in die Nähe des Schlosses. Da erreichten sie den festen Boden.
Als ich mich hinaufgeschwungen hatte, konnte ich ganz bequem in die Stube sehen. Da standen zwei rohe Brettertische mit ebenso rohen Sitzen. Die Sprechenden waren fünf Männer, von denen ich vier sofort erkannte, nämlich die beiden Enters, Tusahga Saritsch und To-kei-chun. Man denke sich mein Erstaunen darüber, daß auch diese beiden letzteren sich hier befanden; der fünfte war jedenfalls der Wirt.
„Flieht, flieht! Rettet euch!“ brüllten die Arbeiter, indem sie von der Figur fortstürzten.
Kaum war das geschehen, so gab es ein unbeschreibliches Getöse, ein Poltern, Prasseln, Knattern, Platzen, Bersten, Schmettern, Brausen und Dröhnen. Der Boden öffnete sich. Ein Abgrund gähnte. Die Figur drehte sich mit ihrer ganzen, gewaltigen Unterlage langsam um sich selbst und verschwand dann mit einem Schlag, als ob uns die Ohren platzen sollten, in der Tiefe. Und nicht nur die Figur, sondern auch alles, was sich in der Nähe befand, die Gerüste, die Stangen, die Balken, die Masten mit den Beleuchtungskörpern, alles, alles wurde mit hinabgerissen. Im nächsten Augenblick herrschte tiefste Dunkelheit. Tausende von Stimmen vereinten sich zu einem einzigen, großen Schrei des Entsetzens.
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