.

Sonntag, 18. Juli 2021

KONG-KHEOU, DAS EHRENWORT von Karl May illustriert von Zdenek Burian

 Die Fortsetzungserzählung Kong-Kheou, das Ehrenwort  erschien 1888- 1889 in "Spemanns Illustrierter Knaben-Zeitung: Der Gute Kamerad". Im Jahre 1894 erschien in der "Union Deutsche Verlagsgesellschaft" diese Erzählung in Buchform unter dem neuen Titel "Der blau-rote Methusalem".


Zur ganz bestimmten Minute trat er aus dem Hause, in dessen Parterre der chinesische Theehändler Ye-Kin-Li einen prächtig eingerichteten Verkaufsladen besaß, schritt, gefolgt von seinem Wichsier, die Straße entlang, bog rechts in das Pfeffergäßchen ein und verschwand dort in der Thüre des »Geldbriefträgers von Ninive«. So nämlich nannten die Studenten dieses viel besuchte Bierlokal. Genau zu einer ebenso bestimmten Minute verließ er dasselbe, um nach seiner Wohnung zurückzukehren.

 


 

Inzwischen war der »Methusalem« gar nicht weit gekommen. An der Ladenthür des Chinesen hatte er sich besonnen, daß er diesem doch sagen müsse, daß der Brief an die richtige Adresse gelangt sei. Darum trat er bei ihm ein. »Nun?« fragte der Sohn der Mitte. »Sie bringen den Brief nicht wieder?« »Nein. Meine Wirtin ist die Adressatin. Sie brauchen sich also nicht weiter zu bemühen. Aber, bitte, wie ist er in Ihre Hände gekommen?« »Durch meinen Lieferanten in Kuang-tschéu-fu (Kanton), bei dem er für mich abgegeben wurde.« »Hat dieser Herr Ihnen mitgeteilt, wer der Absender ist?« »Nein. Er hat mir die Weisung gegeben, den Adressaten oder dessen Erben hier ausfindig zu machen, ihnen den Brief zu übermitteln und dafür zu sorgen, daß sie sofort antworten. Die Stelle, an welche die Antwort zu richten ist, sei in dem Briefe angegeben.« »Das stimmt. Aber es ist beschlossen worden, keine briefliche Antwort zu erteilen. 'Wir reisen selbst hin, nämlich Richard Stein, ich und mein Gottfried von der Oboe.«

 

Kapitän  H e i m d a l l   T u r n e r s t i c k , ein echter friesischer Seebär, hatte lange Jahre im Dienste eines New-Yorker Reeders gestanden, es da zumeist mit amerikanischen Topgasten zu thun gehabt und es darum gelitten, daß man seinen allerdings seltsamen deutschen Namen Drechslerstock in das englische Turnerstick verwandelte. Dennoch aber war er ein Deutscher vom reinsten Wasser geblieben.

 


 

»I can not to understand. I shall exchanger this dollar?« »Ja, yes, oui! Ich habing doch deutling genung gesprocheng!« Der Chinese schüttelte dennoch leise den Kopf; aber da er wenigstens das Yes verstanden hatte, so erkundigte er sich: »Which money to wish You?« Turnerstick wendete sich an den Methusalem, welcher die Szene mit stillem Vergnügen beobachtete: »Bitte, wie heißt denn eigentlich die hiesige Scheidemünze? Ich will möglichst Kleingeld haben.« Um die Lippen des Gefragten spielte ein nicht zu unterdrückendes Lächeln, als er antwortete: »Die kleinste Münze ist die Sapeke, hier Li genannt. Zehn Li sind ein Fen, zehn Fen ein Tschun und zehn Tschun ein Liang.«

Turnerstick bedankte sich mit einem Kopfnicken für die Auskunft und befahl dem Wechsler: »Gebeng Sie mir Li, lauter Li! Ich will Li, nichts als Li bekomming!«


»Alle Teufel!« schrie er. »Was soll das heißing? Die Senftang ist anstatt des Bodengs mit einer Fallthür versehang! Ich will - - - «

Weiter kam er nicht, denn die beiden Träger setzten sich, ohne auf ihn zu achten, in Bewegung. Sie rannten nach dortiger Weise in raschem Trabe davon. Turnerstick steckte in der Sänfte und mußte mit traben, er mochte wollen oder nicht; aber sein Brüllen und Zetern war noch aus der Ferne zu hören. Die Zeugen dieses für ihn nicht sehr ehrenvollen Vorkommnisses lachten im stillen über den gelungenen Streich, ohne aber ihre Befriedigung laut werden zu lassen. Man mußte ja so thun, als ob der Unfall des »Generalmajors« gar nicht bemerkt worden sei.


»Gevt mij een stuk ossevleesch met erwten en zuurkool - geben Sie mir ein Stück Ochsenfleisch mit Erbsen und Sauerkraut!«

Den vier Zuschauern war es zweifelhaft, ob man hier in China Erbsen oder gar Sauerkohl bekommen könne. Der Holländer schien aber die Leistungen der Hotelküche genau zu kennen, denn eben als er das Kalbfleisch verzehrt hatte, wurde ihm der verlangte zweite Gang gebracht. Er beroch auch diesen, nickte wieder freundlich und bestellte:

»Gevt mij een gebraden varkenvleesch met mierook en gebaken peeren - geben Sie mir Schweinebraten mit Meerrettich und gebackenen Birnen!«

Als auch dies dann gebracht wurde, verlangte er »hamelsbout met salade«, Hammelsbrust mit Salat, dann »eend met spinazie en knoflook«, Ente mit Spinat und Knoblauch, später »zeevisch met gebaken pruimen«, Seefisch mit gebackenen Pflaumen. Dann zuletzt begehrte er zum Nachtische »zeekreeften, boter, kaas en een grooten kelk brandewijn«, Seekrebse, Butter, Käse und einen großen Kelch Branntwein.

Die Portionen waren so reichlich, daß eine einzige derselben hingereicht hätte, einen gewöhnlichen Esser zu sättigen; dieser Dicke aber machte, als er fertig war, ein Gesicht, als ob er noch immer Appetit verspüre. Er legte die Hände an den Leib und betastete denselben prüfend. Und wirklich schien er eine noch leere Stelle entdeckt zu haben, denn er begehrte nach kurzem Nachdenken noch »een brood met worst en mostaard«, ein Brot mit Wurst und Senf.

 

Als die Fünf die Seite der chinesischen Fahrzeuge erreichten, sahen sie Dschunke bei Dschunke liegen, eine so fremdartig und grotesk wie die andere.


Der Dicke stürzte auf ihn, und zwar mit solchem Gewichte, daß der Blaurote sich und ihn nicht zu halten vermochte; beide krachten von der Treppenleiter herab und auf die Erde nieder. Der Methusalem raffte sich augenblicklich wieder auf; der Dicke aber blieb liegen, hielt die Hände und Füße empor, spreizte alle zehn Finger auseinander und schrie: »Mijn God, mijn hemel, o mijn rug en mijne neus! Daar ligg ik hoe een walvisch in de fontein! Ik ben dood. Goede nacht, gij boose wereld - mein Gott, mein Himmel, o mein Rücken und meine Nase! Da lieg ich wie ein Walfisch im Springbrunnen! Ich bin tot. Gute Nacht, du böse Welt!«

 

Das Medium hat diese Vorrichtung mit nach oben gerichteten Händen an den beiden Enden des Bambus so anzufassen, daß der Aprikosenpinsel nach abwärts zeigt, also genau so, wie unsere zweifelhaften Wünschelrutenkünstler ihr Werkzeug anfassen müssen. Der Mann hält dann den Pinsel über einen Tisch, dessen Platte mit feinem, glattgewalztem Sande bestreut ist, und nun kann der Geist, indem er auf die Hände des Mediums einwirkt und den Pinsel über den Sand führt, die ihm vorgelegten Fragen beantworten.

Bei der unnatürlichen Stellung der Hände kommen dieselben bald ins Zittern, dennoch wird es einem geübten Medium nicht schwer werden, lesbare Zeichen in dem Sande hervorzubringen. Ganz selbstverständlich fällt bei verfänglichen Fragen die Antwort stets so aus, daß sie verschiedene Deutungen Zuläßt, deren eine wohl in Erfüllung gehen und das Richtige treffen wird.

Da das Kong-pit als eine religiöse Handlung betrachtet wird, so darf es nur unter gewissen Zeremonien vorgenommen werden. Uebrigens hat sich der Geist zu legitimieren. Er hat seinen Namen, seinen Stand und die Dynastie, unter welcher er als Mensch auf Erden wandelte, anzugeben. Je älter diese letztere ist, bei welcher Angabe es aber auf einige hundert oder gar tausend Jahre nicht ankommt, desto ehrfurchtsvoller wird der Geist behandelt. Man nimmt an, daß eine Täuschung ausgeschlossen sei, da die Hände des Mediums eine Stellung haben, welche das Schreiben unmöglich macht.


Vielmehr dehnte sich vor dem Auge Richards eine weite, sanft bewegte, durch nichts unterbrochene Fläche aus, in welcher sich die Sterne spiegelten, das war die See.

 

Es währte auch gar nicht lange, bis er Gelegenheit fand, seinen Mut zu beweisen. Der Hund horchte auf, ging zur Thür, schnoberte an dieselbe und begann zu knurren. Es mußte sich jemand draußen befinden.

Richard hörte, daß man draußen etwas Schweres wegschob; dann wurde versucht, die Thür leise zu öffnen. Dies gelang aber nicht, da sie verriegelt war. Der Knabe winkte den Hund zu sich und gebot ihm durch eine Pantomime Schweigen.

Draußen wurde geflüstert; dann vergingen einige Minuten, bis ein neues Geräusch zu hören war. Es klang, als ob man mit einem Bohrer an der Thür arbeite. Richard trat nahe an dieselbe heran und sah wirklich die Spitze eines starken Bohrers erscheinen. Man wollte ein Loch machen, um in die Kajüte blicken zu können.

 

Sie schlichen sich zu ihm hin und kamen ganz an ihn heran, ohne daß er aufwachte. »Ich fasse ihn bei der Kehle,« flüsterte der Student. »Er wird den Mund öffnen, um zu schreien oder Atem zu holen. Da steckst du ihm dein Taschentuch so weit wie möglich hinein.« »Schön! Werde ihm jut bedienen!« Sie nahmen sich noch Zeit, die lange Leine in kürzere Stücke zu schneiden; dann legte Degenfeld dem Manne die Hände um den Hals. Er wollte erschrocken auffahren und schreien. Im Nu schob ihm der Wichsier das Tuch in den Mund. »So!« nickte der letztere. »Der singt uns nun keine Quadrille vor. Soll ich ihn binden? Halten Sie ihm jetrost fest!« Der so unzart Ueberraschte schlug mit den Händen und stieß mit den Füßen um sich, konnte aber nicht verhüten, daß Gottfried ihn so fesselte, daß er sich nicht mehr zu bewegen vermochte.


Die drei Schläfer erwachten und richteten sich halb auf. Der Blaurote hatte seine beiden Revolver gezogen, Gottfried ebenso, Richard den seinigen auch. Turnerstick folgte diesem Beispiele, und der Dicke, welcher seine beiden Flinten um keinen Preis verlassen hatte, hielt dieselben drohend in beiden Händen.

 

Das Panzerschiff näherte sich mit großer Schnelligkeit. Noch waren nicht fünf Minuten vergangen, so kräuselte von seinem Decke eine helle Wolke auf und dann ertönte der Schuß.

 

Das Boot und das Fallreep wurden herabgelassen, und auch Turnerstick bat den Gottfried und Richard, die Treppe der Dschunke niederzulassen.

 


Nicht aus Neugierde, sondern ganz unwillkürlich bog er den Kopf vor, um zu sehen, wer da gepfiffen habe.

Es stand ein Chinese draußen, welcher sehr gut gekleidet war, also der besseren Klasse angehören mußte. Auch derjenige, welchem der Pfiff gegolten hatte, war zu sehen. Dieser gehörte ganz gewiß dem niedrigsten Pöbel an. Er war barfuß; die Hose reichte ihm nur bis an die Kniee; anstatt eines Rockes oder einer Jacke trug er einen aus langen Grashalmen gefertigten Umhang in Form eines rundum vom Halse bis auf den Unterleib niederhängenden Kragens. Der Kopf war unbedeckt und mit einem dünnen Zöpfchen verziert, welches einem Rattenschwanze sehr ähnlich sah.

An der Mauer führte ein gerader, schmaler Weg vorüber, jenseits desselben hinter Mauern wieder Gärten lagen. Auf diesem Wege, zwischen den Mauern, kam der Mann eiligst herbeigelaufen.

»Tsching, tsching, ta bang!« grüßte er bereits von weitem.

 

Der Genannte trat ein, senkte den Kopf fast bis zum Boden herab und blieb in dieser Stellung an der Thüre stehen.

»Was willst du so spät?« fuhr der Beamte ihn an.

 

»So ist es, ganz gewiß!« stimmte Hu-tsin bei. »Und die Stimmen, welche ich vernahm, sind diejenigen der geraubten Götter gewesen, durch deren Macht die Missethäter hier zurückgehalten worden sind. Die Erde ist aufgegraben. Wenn der hochehrwürdige Tong-tschi hier nachgraben lassen wollte, so bin ich überzeugt, daß man die Verschwundenen finden wird.«

»Wollen sehen! Bindet die Kerle los, und grabt nach!« befahl der Mandarin.

 

Jetzt erhob der Mandarin sich von seinem Stuhle und verabschiedete seinen Gast:

»Sie haben nun den Paß. Mag kommen, was da will, so kann ich wegen Ihnen unbesorgt sein. Jetzt gehen Sie! Man wird mit dem Essen auf Sie warten. Ich selbst kann Sie nicht begleiten, da ich noch zu arbeiten habe.«

 

»Nun, so folgen Sie meinem Beispiele! Ich möchte auch Sie einmal als Gott sehen.« »Als god? Mij? Goed, ik word het verzoeken - als Gott? Mich? Gut, ich werde es versuchen.«

Die beiden hatten in ihrem Eifer gar nicht auf ein erst sehr entferntes Geräusch geachtet, welches aber schnell näher kam. Man konnte jetzt deutlich die Töne von Gongs, Pfeifen, Klingeln, Glocken und anderen chinesischen Musikinstrumenten hören.

Der Dicke ließ sich krächzend auf das andere Postament nieder, schob sich richtig in Positur und fragte dann: »Ziet zij mij, Mijnheer Turnerstick - sehen Sie mich, Herr Turnerstick?«

»Ja, natürlich! Sie sitzen ja gleich neben mir.« »Ben ik even zoo hoe een god - sehe ich ebenso aus wie ein Gott?«

»Ganz genau so. Nur würden Sie einen noch viel göttlicheren Eindruck machen, wenn Sie den Regenschirm aufspannten.« »Dat kan ik maken. Derhalve heb ik het regenscherm en parasol ja metgenommen.« Er spannte das Familiendach auf und blickte stolz umher. Dabei gab er sich die größte Mühe, die Stellung Turnersticks nachzuahmen, brachte aber die kurzen, dicken Beinchen nur mit großer Anstrengung übereinander.

 

Dieser aber, als er nun die wirkliche Gefahr vor sich sah, ließ alle Angst schwinden. Er sprang auf, streckte den Andrängern die geballten Fäuste entgegen und schrie:

»Zurück, ihr Chineseng! Ich werde mich nicht anrühreng lassing! Könnt ihr boxeng? Wollt ihr meine Fäustung fühlang?«

Sie prallten wirklich zurück, und das war der Augenblick, an welchem der Methusalem jenseits an das Gitter getreten war, um durch dasselbe herüberzublicken. Er sah den Kapitän, welchem der Klemmer von der Nase gerutscht war, in drohender Stellung vor seinen vielen Angreifern auf dem Postamente stehen. Er erriet, was geschehen war, und erkannte die Gefahr, in welcher die beiden schwebten; aber wie war da Hilfe zu bringen!

 

Er zog seine zwei Revolver aus der Tasche, zeigte sie ihm und spannte sie; Gottfried that desgleichen. Der Mandarin erbleichte, denn er wußte wohl, daß er nur von dem nächsten Posten gehört werden könne. Ein Widerstand seinerseits hatte nicht die geringste Aussicht auf Erfolg. Ja, selbst wenn alle wachehaltenden Soldaten hätten herbeikommen können, wären dieselben diesen vier Drehpistolen gegenüber ohnmächtig gewesen. Sie wären wohl schon vor dem selbstbewußten, furchtlosen Auftreten des Methusalem in alle Winkel gekrochen. Die Hauptsache aber war, daß dieser letztere sich in dem Besitze eines Passes befand, welchen jeder Soldat, bis hinauf zum General, zu respektieren gezwungen war. Er brauchte ihn nur vorzuzeigen, so gehorchte man seinen Befehlen, nicht aber denjenigen eines Gefängnisbeamten. Aus diesen Gründen konnte gar kein Zweifel darüber gehegt werden, daß die Gefangenen aus dem Huok-tschu-fang entkommen würden.

 

Die Wände fielen fast senkrecht in den dunklen Schlund. Es gab weder rechts noch links einen Ausweg. Nur geradeaus führte die Straße, quer über den riesigen Spalt hinüber, und zwar auf der Brücke, von welcher der Wirt des Sié-kia gesprochen hatte.

Es war wirklich eine Kettenbrücke im eigentlichsten Sinne des Wortes. Sechs starke, parallel laufende Eisenketten waren hüben und drüben fest in dem Gestein verankert. Sie trugen querliegende, hölzerne Bohlen, welche die gefährliche Bahn bildeten.

 

»Ta kik hia - schlagt sie nieder!«

Und zu gleicher Zeit drangen wohl gegen zehn bewaffnete Männer auf die drei ein. Ihre Armierung war keine sehr furchterweckende, alte Säbel, einige noch ältere Flinten und Piken; einer schwang eine Keule.

 

Die Gäste traten vor das Haus. Was sie sahen, übertraf die Erwartungen, welche sie geglaubt hatten, hegen zu dürfen, da sie keine gelernten oder vielmehr studierten Feuerwerker vor sich hatten.

Die Chinesen begannen mit ganz gewöhnlichen Dingen, mit Fröschen, Kanonenschlägen, Feuerrädern und Leuchtkugeln. Dann gingen sie zu schwierigeren Sachen über. Die Kugeln bildeten Worte und Bilder. Eine große Leuchtkugel stieg empor, ihr nach eine zweite. Beide platzten. Aus der ersten schoß eine lange, feurige Schlange, aus der andern ein glühender Drache, welcher ihr in immer engeren Spirallinien folgte, bis beider Köpfe auch platzten, um hundert und aber hundert kleine Schlangen und Drachen erscheinen zu lassen. Eine kugelrunde Papierlaterne, in welcher ein Lichtchen zu brennen schien, stieg langsam empor. Hoch oben stand sie still, aus ihr stiegen ein Mond, der sie langsam umkreiste, dann Sterne, welche sich in weiteren Kreisen um sie bewegten. Sie bekam Zacken und Strahlen und entwickelte sich zur hellleuchtenden Sonne, bei deren Glanze man die feinste Druckschrift hätte lesen können.

Gottfried ließ sich nur ganz selten mit einem ernsten Stücke hören, wenn er es aber that, so mußte man ihn bewundern. Er war in seiner Art ein Virtuos auf dem Instrumente, welchem scheinbar kein richtiger Ton zu entlocken war. Der beste Fagotter hatte auf Gottfrieds Fagott nicht die leichteste Melodie fertig gebracht; dieser letztere aber kannte alle guten und schlechten Eigenschaften seines Instruments. Er allein wußte, wo die herrlichsten Töne in demselben zu suchen und wie sie herauszubringen seien. Er hatte sein Fagott studiert wie ein Reiter sein häßliches Pferd, welches keinem gehorcht, aber zum trefflichsten Rosse wird, sobald sein Herr sich in den Sattel geschwungen hat.

Richard hatte oft mit ihm gespielt. Er kannte alle seine Lieblingsstücke, zu deren besten das genannte gehörte. Er begann die Einleitung; dann fiel Gottfried ein. Er blies die Melodie des bekannten, innigen, aber anspruchslosen Liedes in einfacher Weise bis zu Ende. Dann ließ er eine leichte Variation folgen; es kam eine schwierigere, und dann perlten die Töne in Sechzehntel- und Zweiunddreißigstelnoten so zart und lieblich, so rein und eigenartig voll hervor, daß selbst der anspruchsvollste Kenner hätte zugeben müssen, daß er weder diesem Gottfried noch seiner alten Fagottoboe so etwas zugetraut habe. Es war wirklich eine außerordentliche Leistung, und zwar auf einem Instrumente, welchem man die Bedeutung eines Soloinstruments sonst abzusprechen pflegt.

 

Richard hatte sich nicht länger halten können. Noch während der Gottfried sprach, war er mit den Worten: »Onkel, lieber Onkel, ich bin dein Neffe!« auf Stein zugeeilt und hatte seine Arme um ihn geschlungen. Der Onkel stand starr vor freudigem Schreck. Die Arme hingen ihm schlaff herab.

»Mein Neffe - - Du - du bist mein Neffe?« stammelte er.

 



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen