Ferdinand Sigismund Bac (* 15. August 1859 in Stuttgart; † 18. November 1952 in Compiègne), eigentlich Bach, war ein französischer Maler, Karikaturist, Schriftsteller und Landschaftsgestalter.
I.
Nachdem die Kassierin auf sein Fünffrankenstück herausgegeben, schickte Georges Duroy sich an, das Restaurant zu verlassen
Doch mochte er die Orte gern, die von Freudenmädchen wimmeln, ihre Bälle, Cafés und Strassen.
Mit Vergnügen drängte er sich an sie heran, redete mit ihnen, duzte sie, atmete ihre starken Parfüms ein und spürte ihre Nähe.
Ein seltsamer, besonderer, unbeschreiblicher Geruch, der Geruch von Redaktionssälen, erfüllte diesen Ort. Ein bisschen eingeschüchtert und vor allem verdutzt, rührte Duroy sich nicht. Von zeit zu Zeit eiltem Männer an ihm vorüber, zur einen Tür hinein und zur anderen hinaus.
Eine Frau lehnte an der Loge und blickte ihn an, eine dicke Brünette mit künstlich gebleichter Haut und schwarzen, länglichen, vom Stift betonten und von ebenfalls künstlichen, mächtigen Brauen umrahmten Augen....Mit einer Kopfbewegung winkte sie eine vorübergehenden Freundin heran. eine fette Blondine mit roten Haaren, und sagte laut, damit man es hörte: "Sieh da, ein hübscher Bursch! Wenn er mich für zehn Louis will. so sag ich nicht Nein."
"Kommst du zu mir?" Zitternd vor Begierde, antwortete er rücksichtslos: "Ja, aber ich habe nir einen Louis in der Tasche." Sie lächelte gleichgültig: "Das tut nichts." Besitzergreifend nahm sie seinen Arm.
II.
Dann blieb er starr vor Staunen: das wae er selbst, im Bild eines hohen, bis zum Boden reichenden Spiegels, der auf dem Absatz der ersten Etage eine galerieartige lange Perspekive eröffnete.
Und jetzt, wie er sich sorgfältig betrachtete, kam er zum Schluss, dass er sich wirklich anständig präsentierte.
Eine junge Frau erwartete ihn stehend, ganz allein, in einem grossen, hellen Raum voller Pflanzen wie ein Gewächshaus.
Die Türe wurde wieder geöffnet, und es erschien ein kleiner dicker Herr, kurz und rund, am Arm eine grosse schöne Frau, grösser als er, viel jünger, distinguiert und von ernstem Auftreten. Es waren Herr Walter, Abgeordneter, Financier, Geld- und Geschäftsmann, Jude aus dem Midi, Direktor der Vie Française, und seine Frau, geborene Basile-Ravalau, Tochter des gleichnamigen Bankiers.
... und Norbert de Varende mit glänzendem Rockkragen, der von den scheuernden langen Haaren etwas gewichst war. Sie fielen bis auf die Schultern und bestreuten sie mit weissen Schuppen.
Duroy fand seinen Platz zwischen Frau de Marelle und ihrem Töchterchen. Er fühlte sich wieder unbehaglich, er hatte Angst, bei der Handhabung von Gabel, Löffel und Gläsern einen Fehler zu machen.
"Nehmen Sie Kaffee. Monsieur Duroy?"
Frau Forestier reichte ihm mit dem freundlicheln Lächeln, das nicht von ihren Lippen wich, eine volle Tasse. "Ja, Madame, danke sehr."
Duroy setzte sich, nahm Laurine aufs Knie und streufte mit den Lippen die feinen Stirnlocken.
Dann verabschiedete er sich von seinem Bild mit einer tiefen verbeugung, feierlich wie vor einer hochgestellten Persönlichkeit.
III.
Duroy öffnete das Fenster und stützte die Ellbogen auf die rostige Eisenbrüstung. Drei unbewegliche rote Signallichter in dem dunklen Loch unter ihm gemahnten an grosse Tieraugen; weiter weg waren andere und noch weiter weg noch mehr zu erblicken.
Dann suchte er den Anfang des ersten Satzes. Die Stirn in der Hand, richtete er die Augen auf das vor ihm entfaltete weisse Viereck.
Dann schmiss er die Feder auf den Tisch und stand auf.
Auf dem kleinen Eisenbett, worin sich vom Liegen eine Mulde gebildet hatte, erblickte er seine abgelegten Werktagskleider, leer, müde, schlaff wie Lumpen in der Morgue. Der Zylinder auf einem Strohsessel, sein einziger Hut, schien geöffnet, um Almosen zu empfangen.
Eine war hübsch, heiter, trug Schmuck und sah aus wie eine Kokotte. Ihre Nachbarin, eine tragische Maske mit Runzeln, mit kargem Schmuck, hatte etwas Zerknittertes, Künstliches an sich, wie gewöhnlich bei alten Schauspielerinnen...
Forestier stand am Kamin, rauchte eine Zigarette und spielte Bilboquet.
IV
Duroy, der zur Erhöhung der Wirkung mitten im Büro stand, antwortete laut: "Wahrhaftig, das ist mir ziemlich gleichgültig."
Die Angestellten fuhren verblüfft auf, und über der spamischen Wand erschien wie aus einer Kiste das bestürzte Gesicht des Herrn Potel.
Sie betraten ein Café und liessen sich kühle Getränke servieren. Und Saint-Potain begann zu reden. Er sprach über jeden und über die Zeitung und sprudelte von überraschenden Einzelheiten.
Binnen kurzem wurde er ein bedeutender Reporter, zuverlässig in den Informationen, schlau, schnell und gewandt, ein eigentlicher Gewinn für die Zeitung, wie Vater Walter sagte, der sich in Redakteuren auskannte.
V.
Frau de Marelle lief herein, in einem japanischen Morgenrock aus roter, bestickter Seide mit goldenen Landschaften, blauen Blumen und weissen Vögeln, und rief: "Stellen Sie sich vor, dass ich noch im Bett war! Wie nett, dass sie mich besuchen! Ich war überzeugt, sie hätten mich vergessen."
Die Türe wurde geöffnet, und vor einem Maître d'hôtel erschienen zwei junge Frauen, verschleiert, eingemummt, diskret, mit dem entzückend geheimnisvollen Air, das sie an Orten annehmen, wo Nachbarschaft und Begegnungen suspekt sind.
...und mit jäher Wendung warf er sich über sie, suchte mit den Lippen ihren Mund und mit den Händen ihr nacktes Fleisch.
Sie breitete die Arme aus und sank an seine Brust. Dann hob sie den Kopf, und sie küssten sich lange.
Sie hatte ein dickes Paket auf den Nipptisch mitten im Zimmer gelegt. Sie machte es auf und entnahm eine Seife, eine Flasche Lubinwasser, einen Schwamm, ein Schächtelchen Haarnadeln, einen Korkenzieher und ein kleines Frisiereisen, um die Stirnlocken zu ordnen, die jedesmal durcheinander- gerieten..
Als Sie in den Tanzsaal kamen, drängte sie sich erschreckt und zufrieden an ihn, blickte entzückt auf die Kokotten und die Zuhälter...
Mit blitzenden Augen und wogendem Busen krähte sie: "Ah, so ist das! Lass doch, du Flegel! Wenn man mit einer Frau schläft, so grüsst man sie wenigstens..."
Dann öffnete sie den Schlag und sprang auf die Strasse. George wollte ihr folgen, aber sie schrie: "Ich verbiete dir, auszusteigen!" so laut, dass Passanten sich um sie drängten. Aus Angst vor einem Skandal rührte sich Duroy nicht. Sie zog ihr Portemonnaie aus der Tasche, suchte beim Schein der Laterne nach Geld, nahm zwei Francs fünfzig, legte sie dem Kutscher in die Hand und sagte mit zitternder Stimme: "hier...das ist für eine Stunde...Ich bezahle...Und führen Sie mir diesen Schmutzfink an die Rue Boursault in den Batignolles."
VI
Er fand sie bei der Lektüre eines Buches auf den Kanapee liegend....Er hatte sich neben sie gesetzt und betrachtete sie mit neuem Interesse, wie ein Nippsachensammler...
Der Ton überraschte ihn noch mehr als die Worte, und er fragte: "Warum?"
"Madame", stammelte er, "ich habe mir erlaubt..." und suchte mit den Augen die Herrin des Hauses. Mit den Worten: "Wie liebenswürdig von Ihnen, mich zu besuchen, Monsieur" reichte sie ihm die Hnad, die er mit einer Verbeugung ergriff. Sie deutete auf einen Stuhl, auf den er sich setzten wollte...
Dann öffnete sich im Hintergrunde eine Türe, und Herr Walter trat mit zwei grossen, sechzehn- bis achtzehnjährigen Mädchen ein, einem hässlichen und einem hübschen.
Sie wurden durch eine dicke Dame getrennt. Diese trat herein, dekolletiert, mit roten Armen und roten Backen, anspruchsvoll gekleidet und frisiert, mit so schwerem Schritt, dass ihrem Gang das Gewicht und dere Umfang der Schenkel anzumerken war.
Das Leben ist ein Berg. Solange man steigt, sieht man den Gipfel und fühlt sich glücklich. Aber wenn man oben ist, dann erblickt man plötzlich den Abstieg und das Ende, nämlich den Tod.
Dann öffnete sich die Zimmertüre, und er erblickte einen grossen, weissbärtigen Herrn, dekoriert, ernst und korrekt, der mit ausgesuchter Höflichkeit auf ihn zukam: "Meine Frau sprach mir oft von Ihnen, und ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen."
"Sie haben unseren Pakt nicht vergessen? Wir sind Freunde und Verbündete, nicht wahr? Wenn Sie mich also irgenwie brauchen, so zögern Sie nicht. Eine Depesche oder ein Brief genügt." "Danke, ich werde es nicht vergessen", murmelte sie, und in ihren Augen lag ein tieferer und stillerer Dank.
VII
Es war ein Riesenhaus, wo man sechs Etagen steigen musste. Ein alte Frau in wollenem Mieder öffnete ihnen: "was wollen sie wieder von mir? fragte sie beim Anblick Saint-Potins.
Endlich begriff Duroy und liess sich neben dem Doktor nieder. Die beiden Zeugen stiegen ebenfalls ein, und der Kutscher fuhr los. Er wusste wohin.
...alsbald sah er ein bisschen Rauch am Ende seines Pistolenlaufs, und da der Mann gegenüber immer noch stand, ebenfalls in der gelichen Haltung, so bemerkte er ein zweites weisses Wölkchen, das über dem Kopf des Gegeners zerflog. Beide hatten geschossen. Es war aus.
Er ging zum Rendezvous, und sie stürzte in seine Arme und bedecktre ihn mit Küssen...
VIII
Er wohnte jetzt an der Rue de Constantinople....Zwei- bis dreimal in der Woche erschien die junge Frau, bevor er auf war, entkleidete sich im Nu und schlüpfte, fröstelnd von der Kälte draussen, ins Bett.
Duroy sah am Fenster in einem Fauteuil, in Decken eingehüllt, fahl im roten Licht der sinkenden Sonne, etwas wie einen Kadaver, der ihn anschaute....Da die Frau sah, dass er nicht reden würde, kam sieheran, lehnte am Fenster und wies mit einer Kopfbewegung zum Horizont: "Schaut! Ist das nicht schön?"
Als der Landauer vorgefahren war, stieg Forestier, vom Diener gestützt, Schritt für Schritt die Treppe herab.
Ein schwaches Gurgeln bewegte die Kehle des Sterbenden. zwei dünne Blutfaden erschienen an den Mundwinkeln und flossen aufs Hemd. .Die entsetzlich tappenden Hände kamen zur Ruhe. Er hatte ausgehaucht. Die Frau begriff. Mit einem unterdrücktem Schrei warf sie sich auf die Knie und schluchzte ins Leintuch.
Aus dem Wagen lehnend, sah der jungr Mann die junge Frau unbeweglich auf dem Bahnsteig stehen und ihm nachblicken. Und plötzlich, kurz bevor er sie aus den Augen verlor, nahm er beide Hänfe an den Mund und warf ihr einen kuss zu. Sir erwiderte mit einer scheueren, zögernden, nur andeutenden Gebärde.
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