Das Schloss der Nachtfee
In
einem gewaltigen Saal ihres Schlosses empfing die Nachtfee ihre Gäste zum
Mitternachts-Kaffeeklatsch. Himmelhohe, silberne Säulen trugen eine ungeheure
Wolkenkuppel, von wehenden Nebeln wie von zarten Fahnen umschwebt.
Da
summte und pfiff es in der Luft, und der zweite Gast kam, die Windliese. Auf
einem Besen ritt sie, sprang vor dem Thron der Nachtfee ab...
...so
kam seine Schwester Frau Holle herein. Rundlich und weiß von oben bis unten war
sie und sah eigentlich aus wie ein großes, wandelndes Bett mit zwei dicken,
weichen Pantoffelfüßen.
...die
Sonne nahte, die Königin des Tages, die ihr gleich war an Rang und Ansehen.
Alle Gäste erhoben sich mit ihr von den Sitzen, denn, obschon sie die Sonne zum
Teil nicht leiden konnten, mussten sie ihr doch, als einer Königin, die schuldige
Ehrfurcht bezeigen. Da schwoll die Musik heran, wie ein wachsender Sturm. Die
Wolken teilten sich, und - in einem Strom von goldenem Licht schwebte die Sonne
herein mit ihren Töchtern und Söhnen, der Morgenröte und Abendröte, dem
Morgenstern und dem Abendstern....
So
stand die Sonne der Nachtfee gegenüber, und der Saal war voll von ihrem Licht.
Langsam kam die Nachtfee von ihrem Thron herab der Sonne entgegen. Auf ihrem
schwarzen Haar schimmerte die blasse Mondkrone.
Nun wollte sich der Regenfritz auch beschweren: »Der kleine Bär hat mich
aber gebissen, Tüp, tüp - und mir meine Hosen zerrissen!«
Die Ankunft der Kinder im Schloss der Nachtfee
...da kam plötzlich der Milchstraßenmann
wieder herbeigelaufen und lachte so fürchterlich, dass er kaum noch Luft bekam;
ganz krumm stand er da und trat immer von einem Bein aufs andere. Die Nachtfee
wollte wissen, was denn nun schon wieder los sei, und alle anderen natürlich
auch; aber der Milchstraßenmann bekam vor Lachen kaum ein Wort heraus; man
verstand nur den einen Satz:
»Frau Nachtfee, das
Sandmännchen ist verrückt! Ich glaube, es hat den Mondstich gekriegt!«
Dazu wies er mit der Hand immerfort nach
dem Eingang hinter sich, und richtig, da kam das Sandmännchen schon herein,
allerdings in einer Begleitung, die höchst erstaunlich war: »Zwei Kinder im
Nachthemd und ein Maikäfer ! «
Ebenso
tat der Sturmriese, nachdem er einen plötzlichen, fürchterlichen Wirbelwind mit
vollkommener Finsternis gemacht hatte, ohne die Kinder umzublasen oder auch nur
zu erschrecken.
Nun
kam der große Bär, vom Milchstraßenmann an der Kette geführt, durch die Wolken
herbei. Ein riesengroßes Ungetüm war dieser Bär. Schneeweiß war sein Fell und
dick und zottelig. Er war größer als der größte Elefant, und wenn' er brummte,
klang es beinahe wie das Bullern vom Donnermann.
Also hob das Sandmännchen die kleine,
tapfere Anneliese hoch, dass sie ordentlich zielen konnte, und - happs! hatte
der Bär das Äpfelchen verschluckt. In demselben Augenblick bekam er rote,
gutmütige Augen und leckte sich, zufrieden wie ein kleiner Hund, die Schnauze.
Das war eine Freude!
Der Ritt auf dem grossen Bären
Da
kam ihnen etwas durch die Nacht entgegen. Ein riesengroßer, leuchtender Klumpen,
näher und näher! Es sah aus wie ein Kopf mit einem wehenden, weißen Bart, der
viele hundert Meilen lang war. Ein Komet war es, der um den Mond herumgeflogen
war und ihnen nun auf seiner Reise begegnete. Gut nur, dass sie auf dem großen
Bären ritten, denn sonst wäre diese Begegnung sehr gefährlich gewesen. Als
nämlich der Komet immer näher kam, sahen sie, dass er seinen Weg gerade auf sie
zu nahm. Plötzlich aber stieß der Bär ein drohendes Gebrüll aus und schnaubte
ganze Ströme von Funken vor sich her, während er seine furchtbaren Zähne
zeigte. Da wich der Komet schnell aus und sauste neben ihnen vorbei;...
Husch, war alles wieder vorbei, und weiter ging der Ritt auf den Mond zu, dem
man nun schon ganz nahe war.
Das
Sandmännchen strich sich den Schlafrock glatt, machte ein sehr feierliches
Gesicht, hob bedächtig den Zeigefinger und drückte auf den Knopf. Da ertönte
ein wundersames Läuten von innen, goldene Glocken mussten es wohl sein, und
lautlos öffnete sich das Tor.
Die Weihnachtswiese
Auf diesem Platze aber - ja, das war das
Allerschönste! stand die goldene Wiege des Christkindchens. Neben der Wiege,
auf einem schönen, himmelblauen Großvaterstuhl saß der Weihnachtsmann in seinem
pelzverbrämten Rock mit einer silbergrauen Pudelmütze und schneeweißem Bart. Er
hatte eine lange, schöne Pfeife mit bunten Troddeln im Munde, aus der er ab und
zu großmächtige Wolken in die Luft paffte. Dazu wiegte er leise die goldene
Wiege, und über der Wiege schwebte still ein leuchtender Heiligenschein. Es war
sehr feierlich, es war sehr schön!
Auf dem Rande des Nestes saßen ringsherum
viele, viele Tausend Hühner in allen Farben; grüne, blaue, weiße, gelbe, rote, schwarze,
bunte, gestreifte und gesprenkelte, eines dicht neben dem anderen, fein
ordentlich die Schwänzchen nach innen, die Schnäbelchen nach außen gekehrt.
Über dem Nest hing ein Strick vom Himmel herunter mit einem schönen gelben Ring
am Ende. In dem Ring aber saß ein großer Gockelhahn. Der schlug alle zwei
Augenblicke mit den Flügeln und krähte »kikeriki-i-i-ieh ! «
Der Sandmann ergriff den Kanonenwischer, kletterte auf dem Leiterchen zur
Mündung der Kanone und putzte den Lauf umständlich und gründlich. Es war ja,
seit der Mondmann damals vor tausend Jahren hinaufgeschossen wurde, nicht mehr
daraus geschossen worden; und wenn der Lauf innen nicht so blitzblank war wie
eine Kakaobüchse, konnten sich die Kinderchen leicht beim Herausfliegen die
Nasen abscheuern.
Als die Kinder merkten, dass dem guten
Sandmännchen so ein wenig weich ums Herz war, fielen sie ihm plötzlich um den
Hals, um sich zu bedanken, und gaben ihm herzhafte Küsschen. Na, das war was
für das Sandmännchen!
Sandmännchen aber lief geschäftig zum
hinteren Ende der Kanone, richtete die Mündung nach dem Gipfel des Berges,
zielte genau, rief: »Achtung - Augen zumachen!« und riss an der dicken
Abzugsschnur. Bums!!! ... gab es einen gewaltigen Knall, ein dicker Dampfstrahl
fuhr aus dem Lauf der Kanone, und mitten darin sah man den Sumsemann wie ein
braunes Kanonenkügelchen gen Himmel sausen. Der Sandmann beobachtete den Schuss
ganz genau. Ja, er hatte gut gezielt; der Maikäfer war oben!
Der Kampf mit dem Mondmann
Sie froren nicht einmal, trotzdem sie doch
nur in ihrem Nachthemdchen waren, so emsig sprangen sie von einem Baume zum
anderen und suchten nach der Birke mit dem Beinchen. »Hurra! « schrie Peterchen
plötzlich; »da hängt das Beinchen - ich sehe es, ich sehe es!«
Als Peterchen ihn dann am Schluss seiner
Erzählung bat, das Beinchen herzugeben, fauchte er:
»Du bittest mich sehr? - Was gibst du mir,
Wenn ich es dir gebe, denn wieder dafür?«
Anneliese
hielt sich beide Augen fest zu und weinte schrecklich, als er ihm den Kopf
abbiss, dass die Porzellansplitter nur so knisterten zwischen seinen
scheußlichen Zähnen. Nicht einmal in die Schnauze schnitt er sich dabei! Das
hatte sie nämlich im stillen gehofft.
...
tauchte jetzt mit weit geblähten Backen der dicke Wassermann aus der Tiefe
herauf. Ehe sich der Mondmann recht besonnen hatte, schoss ihm aus dem breiten
Froschmaul des Wassermanns ein eiskalter Wasserstrahl mit solcher Gewalt mitten
ins Gesicht, dass er sich nach hinten überschlug und zum zweiten Male am Boden
herumwälzte. Er wollte natürlich brüllen; aber, kaum riss er die Schnauze auf
... zisch! ... fuhr ihm der Wasserstrahl hinein, so dass er nur glucksen und
prusten konnte; und nicht eher hörte der Wassermann zu spritzen auf, bis der
Mondmann triefend von dem eiskalten Wasser wie ein Toter dalag...
Rauschend fuhr es aus der Höhe herunter,
mit pechschwarzen, riesigen Flügeln. Über den Mondberg hin ging ein Wirbelwind,
dass sich die grauen Bäume, die so tot und unbeweglich gestanden hatten,
knisternd bogen, gleich Grashälmchen auf einer Wiese. Was war das?
Der Sturmriese kam den Kindern zur Hilfe. Mit
seinen mächtigen Fäusten riss er im Walde den dicksten Baum aus dem Boden, warf
ihn krachend über den Mondmann und war im Nu wieder fort, wie er im Nu gekommen
war.
Ein
weißes Leuchten ging vom Himmel nieder, und neben den Kindern standen, in einer
Geschwindigkeit, die man nicht ausdenken kann, ihre beiden Sternchen mit gegen
den Mondmann hoch erhobenen Händen. Blendendes Licht strahlte von diesen Händen
gegen die weit aufgerissenen Augen des Unholdes, als er eben die Kinder packen
wollte.
Das Beinchen
Dann
aber suchten sie sich an ihm die Stelle für das Beinchen. Peterchen fand ein
kleines Loch unter dem dritten, schwarz-weißen Westenstreifen; da musste es
bestimmt hin. Anneliese spuckte also tüchtig auf das obere
Urgroßvater-Beinchenende, und dann drückten sie es mit vereinten Kräften in das
Loch hinein. Anstrengend war das, ordentlich ächzen musste Anneliese dabei.
Endlich saß es! Sie probierten und fanden, dass es wirklich ganz ungeheuer fest
saß, so dass es gewiss nicht so leicht wieder abgerissen oder abgehauen werden
konnte. ....
Über
der höchsten Bergzinne aber, gerade vor sich, sahen die Kinder im gleichen
Augenblick die liebliche Tochter der Sonne, die Morgenröte.
Die Sonne warf gerade den ersten
blitzenden Strahl durch das Fenster, und auf dem Fliederbusch draußen pfiff ein
kleiner Zeisig vergnügt sein Morgenliedchen. Beide Kinder waren so erstaunt,
dass sie sich zunächst mit weit aufgerissenen Augen anguckten. Dann sagte
Peterchen - aber erst nach einer ganzen Weile: »Anneliese!« und Anneliese
sagte: »Peterchen!«
Dann machten sie schnell das Fenster auf,
Anneliese hielt ihr Händchen hinaus, und sie sangen das berühmte
Fliegeliedchen. Der kleine Sumsemann aber krabbelte emsig auf den
ausgestreckten Zeigefinger Annelieses, breitete auf der obersten Spitze seine
Flügel aus und ... summ ... flog er hinaus in den blauen Morgen, über den
Garten, über die Wiese, weit, weit!
Der Weihnachtsmann hatte natürlich alles gesehen, Püppchen, Hampelmann, Äpfel
und Pfefferkuchen; hatte sie aus des Mondmanns Bauch wieder herausgezaubert und
der Mutter schnell auf die Erde geschickt, zur Belohnung für die Kinder.