Mittwoch, 20. September 2023

Emil Droonberg: MINNEHAHA, ILLUSTRIERT VON WILLY PLANCK

 Willy Planck (1870 - 1956) deutscher Maler und Grafiker

 Otto Emil Muschik-Droonberg wurde am 8. Februar 1864 in Bautzen geboren und starb 1934 in Sacramento, Kalifornien. Er war ein deutsch-kanadischer Globetrotter und Schriftsteller.

 


 

 

Als ich bis auf etwa ein Dutzend Schritte herangekommen war, erkannte ich, daß es weder das eine noch das andere, sondern ein großer brauner Bär war, der hier im Schnee lag. Er mußte, wie das ja vorkommt, seinen Winterschlaf unterbrochen haben, wohl in der Absicht, zunächst einmal den infolge des langen Fastens knurrenden Magen zu füllen.

 

 
Wäre die rotbraune Hautfärbung nicht gewesen, man hätte die junge Indianerin für eine Angehörige der kaukasischen Rasse halten können, denn ihrer Gesichtsbildung fehlte der gewöhnliche Typus der Indianerrassen mit den breiten, wie Ecken hervorstehenden Backenknochen und der platten Nase. Der Schnitt des Gesichtes war zierlich und regelmäßig, und sie sah aus wie eine plötzlich zum Leben erweckte Bronzefigur einer griechischen Schönheit, ein Eindruck, der noch durch das keineswegs indianisch hartsträhnige, sondern weiche und wellige Haar verstärkt wurde.

Jetzt lag freilich ein Ausdruck des Schmerzes auf diesem überraschend anziehenden Gesicht.

 


 Ein haßerfüllter Blick vervollständigte die unausgesprochene Drohung. Dann, ohne ein weiteres Wort zu sprechen, wandte er sich ab und schritt langsam über den Schnee, bis er hinter einer Gebüschgruppe verschwand, nicht aber, ohne vorher noch die Faust drohend gegen mich zu schütteln.

 


Eine Viertelstunde später befand ich mich auf dem Wege nach Rocanville, von wo aus ich den Zug nach Esterhazy benutzen wollte.

Obwohl es nahezu neun Uhr sein mußte, bedeckte noch tiefes, undurchdringliches Graublau die Himmelswölbung. Im Osten, den ganzen Horizont entlang, glänzte ein schmaler Streifen von leuchtendem Orange, eingeschoben zwischen die nach dieser Richtung hin gerade Linie des Horizontes und die kaum weniger gerade Abgrenzung des graublauen Wolkendunkels, das den ganzen übrigen Himmel in gleichmäßiger Farbentiefe bedeckte.

Auf der Schneedecke lag noch tiefer Schatten. Aber die Luft war klar, und mit einiger Mühe konnte ich meinen Weg finden, wenn ich auch manchmal tief in den Schnee versank. Meine Schneeschuhe hatte ich zurückgelassen, da in einiger Entfernung das Land freier wurde und der Schnee dort nur an einzelnen verwehten Stellen so hoch lag, um den Gebrauch von Schneeschuhen nötig zu machen.

 

Was war das?

Ich trat überrascht näher und untersuchte die in dem Erdboden festgefrorenen Teile der Figur. Mein erster Blick, dem ich nicht hatte trauen wollen, hatte mich nicht getäuscht – es war ein ziemlich gut erhaltenes menschliches Skelett. Es lag so dicht an der Oberfläche, daß es sicher war, der Tote, wer immer er sein mochte, war nicht vergraben gewesen. Allmählich war das Skelett dann wohl in den Boden eingesunken und mit Vegetation, die es unsichtbar machte, überwuchert gewesen. Diese hatten aber die talwärts treibenden Schneemassen zusammen mit der dünnen Erdschicht, die Wind und Regen im Laufe der Zeit darüber gelegt haben mußten, fortgeführt. Es lag mit dem Rücken nach oben und schon dieser Umstand war ungewöhnlich und deutete darauf hin, daß der Tote hier nicht auf natürliche Weise, durch Krankheit vielleicht oder infolge Verschmachtung, sein Leben verloren habe, denn dann hätte das Skelett sicher mit dem Gesicht nach oben dagelegen.

 


 Der Schlitten des Indianers war mir kaum aus dem Gesicht gekommen, als ich ihm zu folgen begann. Ich mußte auf eine Wanderung von mehreren Meilen gefaßt sein und hatte keine Neigung, später in dem Indianerdorfe einzutreffen, als unbedingt nötig war.

 

Bei meinem Eintritt fand ich den Braunen Donner wieder mit seinen Kräutern und Wurzeln beschäftigt, während seine Squaw einen Kessel bewachte, der über dem Feuer hing. Ich ließ mich in seiner Nähe auf einer Kiste nieder und kam ohne Umschweife auf mein Anliegen.

»Kannst du mir sagen, wo sich Minnehaha befindet?

 

Neben dem Mittelpfosten brannte ein großes Feuer, dessen Rauch durch eine Öffnung im Dache Abzug fand.

Auf einer Seite des Feuers stand Schi-pi-ku-pi-neß, das Haupt mit der Krone aus Adlerfedern geschmückt, das Gesicht auf beiden Seiten mit drei nebeneinander laufenden gelben Streifen bemalt und in Galakleidung, die durch die perlenbesetzten Mokassins und einen aus einer wollenen Decke zurechtgeschnittenen Mantel noch eindrucksvoller wurde.

Ihm gegenüber auf der anderen Seite des Feuers saß auf einem Baumblock Minnehaha, die Arme auf die Knie gestützt und das Gesicht in den Händen verborgen.

 

Und sie kamen näher und näher. Wohl ein Dutzend waren um uns herum. Die Pferde zitterten, – bockten, – bäumten –...


Unter dem Lichtschacht hing an beiderseits aufgestellten starken Stangen, über die eine Querstange gelegt war, ein großer Kessel, unter dem eine Anzahl verkohlter Holzscheite lagen. Augenscheinlich diente der hohle Baum auch für das zeitweise hier unterhaltene Feuer als Schornstein. Und das erklärte das zweite, mir an jenem Abend so unverständliche Phänomen der Lichterscheinung über dem Baume.

 

»Verdammte Rothaut,« sprach er halblaut, aber keineswegs in gereiztem Tone vor sich hin, als ihm wahrscheinlich ein Rundblick und das Ausbleiben einer Antwort aus seinen Ruf belehrt hatten, daß sein Genosse sich nicht hier befinde. »Dachte, er wäre hier.«

 

Ich schlug die Augen auf.

Neben mir kniete Minnehaha, und ihre Hand lag auf meiner Stirn.

»Er lebt!« rief sie.

»Sure,« antwortete eine rauhe Männerstimme. »Ich sagte es dir ja, Mädchen, daß er in ein paar Minuten wieder all right sein würde!«

 

In der nächsten Minute sprengte sie auch bereits über den Bahndamm und lenkte das Pferd durch einen Schenkeldruck dem auf der andern Seite der Geleise befindlichen Stationshause zu. 

 

Um den Schlitten herum und aus dem geheimen Zugang zu dem Gewölbe herauskommend oder auch in ihn hineingehend, sah ich eine Anzahl bewaffneter Männer, unter denen ich die Uniformen von zwei Mounted Policemen erkannte. Nicht weit davon standen der Indianer und der Stelzfuß gefesselt. Der letztere mußte am Arme verwundet sein, denn auf dem Ärmel seines dicken Mackinaw (Jacke aus dickem Stoff) waren Blutflecke sichtbar, und eine Wulst darunter deutete auf einen Verband der Wunde.

Minnehaha reichte mir die Hand.

Sie war kalt und feucht, und durch ihren Körper lief ein Frösteln.

»Leb wohl und habe Dank!« sagte sie kaum hörbar.


 


Der »Totem«pfahl.

Wenn man an der pazifischen Küste – und bis zu tausend Meilen im Inland – ein Indianerdorf betritt, so sieht man vor den Häusern der Häuptlingsfamilien hohe, aus mächtigen Zederstämmen gehauene Säulen – die »Totem«-pfähle. Sie tragen auf ihrer Spitze in voller Plastik das Wappen (Totem) ihres Geschlechts – einen Bären, Adler, Raben, Schildkröte, Stachelschwein usw. – und erzählen in geschnitzten Bildern die Geschichte des betreffenden Geschlechtes. Jede Generation dieses hat die ihrige – von oben angefangen – hinzugefügt, und nicht selten findet man Totempfähle, auf welchen man die Ahnenreihe und hervorragende Taten eines Geschlechts bis auf zweihundert Jahre zurückverfolgen kann.

 

 

 

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