Mittwoch, 5. Februar 2020

GOETHES FAUST mit Farbbildern von FRANZ STASSEN, 1. Teil

Franz Stassen (* 12. Februar 1869 in Hanau; † 18. April 1949 in Berlin) war ein deutscher Maler, Zeichner und Illustrator.


 

PROLOG IM HIMMEL

 


Mephistopheles:
Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst
Und fragst, wie alles sich bei uns befinde,
Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst,
So siehst du mich auch unter dem Gesinde.
Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,
Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;
Mein Pathos brächte dich gewiß zum Lachen,
Hättst du dir nicht das Lachen abgewöhnt.

 DER TRAGÖDIE ERSTER TEIL

NACHT


Faust:
Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor;
Heiße Magister, heiße Doktor gar
Und ziehe schon an die zehen Jahr
Herauf, herab und quer und krumm
Meine Schüler an der Nase herum –

 
(er beschaut das Zeichen.)
Wie alles sich zum Ganzen webt,
Eins in dem andern wirkt und lebt!
Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen
Und sich die goldnen Eimer reichen!
Mit segenduftenden Schwingen
Vom Himmel durch die Erde dringen,
Harmonisch all das All durchklingen!


Geist:
Wer ruft mir?
Faust (abgewendet):
      Schreckliches Gesicht!
Geist:
Du hast mich mächtig angezogen,
An meiner Sphäre lang gesogen,
Und nun –
Faust:
      Weh! ich ertrag dich nicht!
Geist:
Du flehst, eratmend mich zu schauen,
Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn;
Mich neigt dein mächtig Seelenflehn,
Da bin ich! – Welch erbärmlich Grauen
Faßt Übermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?


Wagner im Schlafrock und der Nachtmütze, eine Lampe in der Hand. Faust wendet sich unwillig.
Wagner:
Verzeiht! ich hör euch deklamieren;
Ihr last gewiß ein griechisch Trauerspiel?
In dieser Kunst möcht ich was profitieren,
Denn heutzutage wirkt das viel.
Ich hab es öfters rühmen hören,
Ein Komödiant könnt einen Pfarrer lehren.

Chor der Engel:
      Christ ist erstanden!
      Freude dem Sterblichen,
      Den die verderblichen,
      Schleichenden, erblichen
      Mängel unwanden.
 

 VOR DEM TOR 

 

Alter Bauer:
Herr Doktor, das ist schön von Euch,
Daß Ihr uns heute nicht verschmäht,
Und unter dieses Volksgedräng,
Als ein so Hochgelahrter, geht.
So nehmet auch den schönsten Krug,
Den wir mit frischem Trunk gefüllt,
Ich bring ihn zu und wünsche laut,
Daß er nicht nur den Durst Euch stillt:
Die Zahl der Tropfen, die er hegt,
Sei Euren Tagen zugelegt.
Faust:
Ich nehme den Erquickungstrank
Erwidr' euch allen Heil und Dank.
(Das Volk sammelt sich im Kreis umher.)

Ach! zu des Geistes Flügeln wird so leicht
Kein körperlicher Flügel sich gesellen.
Doch ist es jedem eingeboren
Daß sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt,
Wenn über uns, im blauen Raum verloren,
Ihr schmetternd Lied die Lerche singt;
Wenn über schroffen Fichtenhöhen
Der Adler ausgebreitet schwebt,
Und über Flächen, über Seen
Der Kranich nach der Heimat strebt.

Wagner:
Ich sehe nichts als einen schwarzen Pudel;
Es mag bei Euch wohl Augentäuschung sein.
Faust:
Mir scheint es, daß er magisch leise Schlingen
Zu künft'gem Band um unsre Füße zieht.
Wagner:
Ich seh ihn ungewiß und furchtsam uns umspringen,
Weil er, statt seines Herrn, zwei Unbekannte sieht.
Faust:
Der Kreis wird eng, schon ist er nah!
Wagner:
Du siehst! ein Hund, und kein Gespenst ist da.
Er knurrt und zweifelt, legt sich auf den Bauch,
Er wedelt. Alles Hundebrauch.

Studierzimmer

  Bist du, Geselle
      Ein Flüchtling der Hölle?
      So sieh dies Zeichen
      Dem sie sich beugen,
      Die schwarzen Scharen!

Mephistopheles:
Ich bin der Geist, der stets verneint!
Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,
Ist wert, daß es zugrunde geht;
Drum besser wär's, daß nichts entstünde.
So ist denn alles, was ihr Sünde,
Zerstörung, kurz, das Böse nennt,
Mein eigentliches Element.

Mephistopheles:
Du wirst, mein Freund, für deine Sinnen
In dieser Stunde mehr gewinnen
Als in des Jahres Einerlei.
Was dir die zarten Geister singen,
Die schönen Bilder, die sie bringen,
Sind nicht ein leeres Zauberspiel.
Auch dein Geruch wird sich ergetzen,
Dann wirst du deinen Gaumen letzen,
Und dann entzückt sich dein Gefühl.
Bereitung braucht es nicht voran,
Beisammen sind wir, fanget an!

Geister, Chor (unsichtbar) :
      Weh! weh!
      Du hast sie zerstört
      Die schöne Welt,
      Mit mächtiger Faust;
      Sie stürzt, sie zerfällt!
      Ein Halbgott hat sie zerschlagen!
      Wir tragen
      Die Trümmern ins Nichts hinüber,
      Und klagen
      Über die verlorne Schöne.
      Mächtiger
      Der Erdensöhne,
      Prächtiger
      Baue sie wieder,
      In deinem Busen baue sie auf!
      Neuen Lebenslauf
      Beginne,
      Mit hellem Sinne,
      Und neue Lieder
      Tönen darauf!

Mephistopheles:
Blut ist ein ganz besondrer Saft.
Faust:
Nur keine Furcht, daß ich dies Bündnis breche!
Mephistopheles:
Der arme Knabe wartet lange,
Der darf nicht ungetröstet gehn.
Komm, gib mir deinen Rock und Mütze;
Die Maske muß mir köstlich stehn. (Er kleidet sich um.)
Nun überlaß es meinem Witze!
Ich brauche nur ein Viertelstündchen Zeit;
Indessen mache dich zur schönen Fahrt bereit!


Mephistopheles:
Ich wünschte nicht, Euch irre zu führen.
Was diese Wissenschaft betrifft,
Es ist so schwer, den falschen Weg zu meiden,
Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift,
Und von der Arzenei ist's kaum zu unterscheiden.
Am besten ist's auch hier, wenn Ihr nur einen hört,
Und auf des Meisters Worte schwört.
Im ganzen – haltet Euch an Worte!
Dann geht Ihr durch die sichre Pforte
Zum Tempel der Gewißheit ein.
Schüler:
Doch ein Begriff muß bei dem Worte sein.

AUERBACHS KELLER IN LEIPZIG 

Mephistopheles:
Still, altes Weinfaß!
Siebel:
      Besenstiel!
Du willst uns gar noch grob begegnen?
Brandner:
Wart nur, es sollen Schläge regnen!
Altmayer (zieht einen Pfropf aus dem Tisch, es springt ihm Feuer entgegen) :
Ich brenne! ich brenne!
Stoßt zu! der Kerl ist vogelfrei!
(Sie ziehen die Messer und gehn auf Mephistopheles los.)

HEXENKÜCHE

Auf einem niedrigen Herd steht ein großer Kessel über dem Feuer. In dem Dampfe, der davon in die Höhe steigt, zeigen sich verschiedene Gestalten. Eine Meerkatze sitzt bei dem Kessel und schäumt ihn und sorgt, daß er nicht überläuft. Der Meerkater mit den Jungen sitzt darneben und wärmt sich. Wände und Decke sind mit dem seltsamsten Hexenhausrat geschmückt.

(Die Hexe, mit seltsamen Gebärden, zieht einen Kreis und stellt wunderbare Sachen hinein; indessen fangen die Gläser an zu klingen, die Kessel zu tönen, und machen Musik. Zuletzt bringt sie ein großes Buch, stellt die Meerkatzen in den Kreis, die ihr zum Pult dienen und die Fackel halten müssen. Sie winkt Fausten, zu ihr zu treten.)
Faust (zu Mephistopheles):
Nein, sage mir, was soll das werden?
Das tolle Zeug, die rasenden Gebärden,
Der abgeschmackteste Betrug,
Sind mir bekannt, verhaßt genug.

STRASSE

Faust. Margarete vorübergehend.
Faust:
Mein schönes Fräulein, darf ich wagen,
Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?
Margarete:
Bin weder Fräulein, weder schön,
Kann ungeleitet nach Hause gehn.

ABEND 

EIN KLEINES REINLICHES ZIMMER

Margarete ihre Zöpfe flechtend und aufbindend.
Ich gäb was drum, wenn ich nur wüßt,
Wer heut der Herr gewesen ist!
Er sah gewiß recht wacker aus
Und ist aus einem edlen Haus;
Das konnt ich ihm an der Stirne lesen –
Er wär auch sonst nicht so keck gewesen. (Ab.)

DER NACHBARIN HAUS

Margarete:
Fast sinken mir die Kniee nieder!
Da find ich so ein Kästchen wieder
In meinem Schrein, von Ebenholz,
Und Sachen herrlich ganz und gar,
Weit reicher, als das erste war.
Marthe:
Das muß Sie nicht der Mutter sagen;
Tät's wieder gleich zur Beichte tragen.
Margarete:
Ach seh Sie nur! ach schau Sie nur!
Marthe (putzt sie auf):
O du glücksel'ge Kreatur!
Margarete:
Darf mich, leider, nicht auf der Gassen
Noch in der Kirche mit sehen lassen.

Mephistopheles tritt auf.
Mephistopheles:
Bin so frei, grad hereinzutreten,
Muß bei den Frauen Verzeihn erbeten.
(Tritt ehrerbietig vor Margareten zurück.)
Wollte nach Frau Marthe Schwerdtlein fragen!
Marthe:
Ich bin's, was hat der Herr zu sagen?
Mephistopheles (leise zu ihr):
Ich kenne Sie jetzt, mir ist das genug;
Sie hat da gar vornehmen Besuch.
Verzeiht die Freiheit, die ich genommen,
Will Nachmittage wiederkommen.
Marthe (lacht):
Denk, Kind, um alles in der Welt!
Der Herr dich für ein Fräulein hält.

IM GARTENHÄUSCHEN 

Faust (kommt):
      Ach, Schelm, so neckst du mich!
Treff ich dich! (Er küßt sie.)
Margarete (ihn fassend und den Kuß zurückgebend) :
      Bester Mann! von Herzen lieb ich dich!

WALD UND HÖHLE

Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles,
Warum ich bat. Du hast mir nicht umsonst
Dein Angesicht im Feuer zugewendet.
Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich,
Kraft, sie zu fühlen, zu genießen. Nicht
Kalt staunenden Besuch erlaubst du nur,
Vergönnest mir, in ihre tiefe Brust
Wie in den Busen eines Freunds zu schauen.
Du führst die Reihe der Lebendigen
Vor mir vorbei und lehrst mich meine Brüder
Im stillen Busch, in Luft und Wasser kennen.

GRETCHENS STUBE

  Meine Ruh ist hin,
      Mein Herz ist schwer;
      Ich finde sie nimmer
      und nimmermehr.
      Wo ich ihn nicht hab,
      Ist mir das Grab,
      Die ganze Welt
      Ist mir vergällt.
      Mein armer Kopf
      Ist mir verrückt,
      Meiner armer Sinn
      Ist mir zerstückt.
      Meine Ruh ist hin,
      Mein Herz ist schwer,
      Ich finde sie nimmer
      und nimmermehr.

MARTHENS GARTEN
Margarete:
Versprich mir, Heinrich!
Faust:
      Was ich kann!
Margarete:
Nun sag, wie hast du's mit der Religion?
Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.
Faust:
Laß das, mein Kind! Du fühlst, ich bin dir gut;
Für meine Lieben ließ' ich Leib und Blut,
Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.
Margarete:
Das ist nicht recht, man muß dran glauben.
Faust:
Muß man?


AM BRUNNEN 

Gretchen und Lieschen mit Krügen.
Lieschen:
Hast nichts von Bärbelchen gehört?
Gretchen:
Kein Wort. Ich komm gar wenig unter Leute.
Lieschen:
Gewiß, Sibylle sagt' mir's heute:
Die hat sich endlich auch betört.
Das ist das Vornehmtun!
Gretchen:
      Wieso?
Lieschen:
         Es stinkt!
Sie füttert zwei, wenn sie nun ißt und trinkt.
Gretchen:
Ach!
Lieschen:
So ist's ihr endlich recht ergangen.
Wie lange hat sie an dem Kerl gehangen!
Das war ein Spazieren,
Auf Dorf und Tanzplatz Führen,
Mußt überall die Erste sein,
Kurtesiert ihr immer mit Pastetchen und Wein;
Bildt sich was auf ihre Schönheit ein,
War doch so ehrlos, sich nicht zu schämen,
Geschenke von ihm anzunehmen.
War ein Gekos und ein Geschleck;
Da ist denn auch das Blümchen weg!

ZWINGER
In der Mauerhöhle ein Andachtsbild der Mater dolorosa, Blumenkruge davor.

Gretchen steckt frische Blumen in die Kruge.
Ach neige,
Du Schmerzenreiche,
Dein Antlitz gnädig meiner Not!

Valentin:
Ich sterbe! das ist bald gesagt
Und balder noch getan.
Was steht ihr Weiber, heult und klagt?
Kommt her und hört mich an! (Alle treten um ihn.)
Mein Gretchen, sieh! du bist noch jung,
Bist gar noch nicht gescheit genung,
Machst deine Sachen schlecht.
Ich sag dir's im Vertrauen nur:
Du bist doch nun einmal eine Hur,
So sei's auch eben recht!
Gretchen:
Mein Bruder! Gott! Was soll mir das?
Valentin:
Laß unsern Herrgott aus dem Spaß!
Geschehn ist leider nun geschehn
Und wie es gehn kann, so wird's gehn.
DOM
Amt, Orgel und Gesang 
Böser Geist:
Wie anders, Gretchen, war dir's,
Als du noch voll Unschuld
Hier zum Altar tratst
Aus dem vergriffnen Büchelchen
Gebete lalltest,
Halb Kinderspiele,
Halb Gott im Herzen!
Gretchen!
Wo steht dein Kopf?
In deinem Herzen
Welche Missetat?
Betst du für deiner Mutter Seele, die
Durch dich zur langen, langen Pein hinüberschlief?
Auf deiner Schwelle wessen Blut?
– Und unter deinem Herzen
Regt sich's nicht quillend schon
Und ängstet dich und sich
Mit ahnungsvoller Gegenwart?
Gretchen:
Weh! Weh!
Wär ich der Gedanken los,
Die mir herüber und hinüber gehen
Wider mich!


Wird fortgesetzt ...
























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