Mittwoch, 4. Dezember 2019

Die Chronik der Sperlingsgasse von Wilhelm Raabe illustriert von Hans Bosch

Ernst Bosch (* 23. März 1834 in Krefeld; † 22. März 1917 in Düsseldorf) war ein deutscher Maler, Zeichner und Grafiker und Vertreter der erzählenden Malerei der Düsseldorfer Malerschule.



Bosch illustrierte bekannte literarische Werke wie Coopers Lederstrumpf, Goethes Werther, Goethes Hermann und Dorothea, Immermanns Münchhausen, Raabes Chronik der Sperlingsgasse, sowie Märchen der Gebrüder Grimm. In Zeitschriften wie der Gartenlaube und Daheim finden sich Radierungen und Holzstiche von ihm.



...wie ich in diesem Augenblick wieder einmal einen Blick zur grauen Himmelsdecke hinaufwerfe, da - kommt er herunter - wirklich herunter, der erste Schnee!

Die Sperlingsgasse ist ein kurzer enger Durchgang, welcher die Kronenstrasse mit einem Ufer des Flusses verknüpft, der in vielen Armen und Kanälen die grosse Stadt durchwindet.

Das ist Ulfelden, die Stadt meiner Kindheit - das ist meine Vaterstadt!

Da lag sie in ihrem weissen mit roten Schleifen besetzten Kleide, eine aufgeblühte Rose auf der Brust, in ihrem schwarzen Sarge,...

...als auf einmal ein kleines, etwas schmutziges Händchen mir einen angebissenen rotbäckigen Apfel hinhielt, ein Lockenköpfchen sich unter meine Nase drängte und ein feines Stimmchen sagte: "Nicht weine...Junge... Mama auch Eierkuchen backen."

Im Knopfloch baumelte ein gewaltiger Hampelmann, in der rechten Hand hatte er eine grosse Knarre, die er energisch schwenkte; während auf seinem linken Arm Alfred mit aller Macht auf eine Trommel paukte.

»Denken Sie, Wachholder« – sagt der Doktor zu mir –, »da hatte die Herostratin vorgestern einen ganzen Bogen Manuskript, das ganze zwanzigste Kapitel der Flodoardine zu dem eben von ihr erwähnten Zwecke vermißbraucht! Denken Sie sich meine Verblüfftheit, als der Köter so geschmückt aus seinem Winkel mir entgegenstolziert, auf den Stuhl mir gegenüber springt und einen verachtenden Blick über den Schreibtisch und die noch übrigen Bogen wirft, als wolle er sagen: »Pah, aus dem andern Schund machen wir eine ganz famose Jacke!«

Komm, lege dein Köpfchen hierher; keine Mücke, keine Fliege, und wenn sie noch so golden wäre, soll dich im Schlummer stören. Schließe dreist die Augen und träume einen hübschen Elfentraum von Schmetterlingen und Blumen und kleinen Vögeln.«
Wie behaglich der Pudel gähnt und, den Kopf auf die Vorderpfoten gelegt, mit den Augen blinzelt.
»'s ist doch ein ganz ander Ding ohne Maulkorb, nicht wahr, Rezensent?«
Wie der Doktor so nachdenklich die blauen Zigarrenwölkchen von sich bläst! Denkt er an seinen ersten Aufsatz in den ›Knospen‹, denkt er an die Münchener Kusine?
Wie sich der Lehrer mit leuchtenden Augen in die Pflanzenschätze seiner Botanisierbüchse vertieft!

»Wie alt bist du jetzt, Gustav? Antwort!«
»Vierzehn und ein halb!«
»Welchen Platz in der Klasse hast du jetzt?«
»Ich bin der Vierundzwanzigste von oben!«
»Und von unten?«
»Der – der – der Fünfte!« – (Pause.)

Dann dreht sich der Doktor gravitätisch um, wirft einen Feldherrnblick über den langsam daherziehenden Heereszug, pustet und fächelt, knöpft die Weste auf, bindet das Halstuch ab oder zieht wohl gar den Rock aus und sagt:
›Schatz, das Spazierengehen müssen wir aufstecken. Beim Zeus, es wird zu angreifend für unsereinen! – Stulp, Schlingel, hol meinen Hut – dort, allons!‹

Außer Atem und hinkend schlage ich mich durch die Menge und sinke auf den Eckstein an derselben Ecke, wo mein Leiden begonnen hatte. Ich stelle den Korb zwischen die Beine und starre mit äußerst bitterm Gefühl hinein. Soll ich das Ungetüm wirklich hinschleppen nach der Sperlingsgasse?

War denn der alte Meister Frey an diesem Abend ganz aus Rand und Band? Auf einmal verkündete er, daß er seinen morgenden 69sten Geburtstag (es war der letzte seines Lebens) jetzt feiern wolle, da bei solchen Gelegenheiten das Improvisieren den wahren Genuß und Jubel hervorbringe. Das halbe Atelier machte er halb betrunken, die ganze weibliche Welt ganz angeheitert. Ein Kranz wurde ihm aufgesetzt trotz allem Sträuben – ein Kranz, der nur so sein mußte. Der Domprediger hielt eine Rede, die »verehrter Greis« anfing und ähnlich endete, und Reden wurden losgelassen und Toaste ausgebracht bis zwölf Uhr.

Ich hatte Kaffee getrunken unter der Linde vor dem Dorfkrug, hatte behaglich das Treiben des Sonntagsmorgens im Dorf belauscht und andächtig der kleinen Glocke zugehört, die in dem spitzen, schiefergedeckten Kirchturm läutete.

Und als das junge Herzchen an meiner Brust pochte, auf der andern Seite Gustav mir den Arm um die Schulter legte, als Helene weinend der jungen Braut den Kranz in die Locken drückte, da war es mir, als sei nun ein lange dunkles Rätsel gelöst, und ich senkte das Haupt vor der geheimnisvollen Macht, welche die Geschicke lenkt und ein Auge hat für das Kind in der Wiege und die Nation im
 Todeskampf.

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