Else Wenz-Viëtor
Die erste Ausgabe erschien 1926. Es erschienen unterdessen zahlreicher Reprints der Ausgabe.
Nun lag der kleine Häwelmann eines nachts in seinem Rollenbett und
konnte nicht einschlafen; die Mutter aber schlief schon lange neben ihm
in ihrem großen Himmelbett. »Mutter«, rief der kleine Häwelmann, »ich
will fahren!« Und die Mutter langte im Schlaf mit dem Arm aus dem Bett
und rollte die kleine Bettstelle hin und her, und wenn ihr der Arm müde
werden wollte, so rief der kleine Häwelmann: »Mehr, mehr!« und dann ging
das Rollen wieder von vorne an. Endlich aber schlief sie gänzlich ein;
und so viel Häwelmann auch schreien mochte, sie hörte es nicht; es war
rein vorbei.
Sein kleines Hemd hatte er ausgezogen und hing es wie ein Segel an
seiner kleinen Zehe auf; dann nahm er ein Hemdzipfelchen in jede Hand
und fing mit beiden Backen an zu blasen. Und allmählich, leise, leise,
fing es an zu rollen, über den Fußboden, dann die Wand hinauf, dann
kopfüber die Decke entlang und dann die andere Wand wieder hinunter.
»Mehr, mehr!« schrie Häwelmann, als er wieder auf dem Boden war; und
dann blies er wieder seine Backen auf, und dann ging es wieder kopfüber
und kopfunter. Es war ein großes Glück für den kleinen Häwelmann, daß es
gerade Nacht war und die Erde auf dem Kopf stand; sonst hätte er doch
gar zu leicht den Hals brechen können.
Auf der Straße war es ganz still und einsam. Die hohen Häuser standen im
hellen Mondschein und glotzten mit ihren schwarzen Fenstern recht dumm
in die Stadt hinaus; aber die Menschen waren nirgends zu sehen. Es
rasselte recht, als der kleine Häwelmann in seinem Rollenbette über das
Straßenpflaster fuhr; und der gute Mond ging immer neben ihm und
leuchtete.
Als sie bei der Kirche vorbei kamen, da krähte auf einmal der große goldene Hahn auf dem Glockenturm.
Im Walde war es still und einsam; die Tiere waren nicht zu sehen;
weder die Hirsche noch die Hasen, auch nicht die kleinen Mäuse. So
fuhren sie immer weiter, durch Tannen- und Buchenwälder, bergauf und
bergab. Der gute Mond ging nebenher und leuchtete in alle Büsche; aber
die Tiere waren nicht zu sehen; nur eine kleine Katze saß oben in einem
Eichbaum und funkelte mit den Augen. Da hielten sie still. »Das ist der
kleine Hinze!« sagte Häwelmann, »ich kenne ihn wohl; er will die Sterne
nachmachen.« Und als sie weiter fuhren, sprang die kleine Katze mit von
Baum zu Baum. »Was machst du da?« rief der kleine Häwelmann hinauf.
»Ich illuminiere!« rief die kleine Katze herunter.
Hier war es lustig; alle Sterne waren wach und hatten die Augen auf
und funkelten, daß der ganze Himmel blitzte. »Platz da!« schrie
Häwelmann und fuhr in den hellen Haufen hinein, daß die Sterne links und
rechts vor Angst vom Himmel fielen.
»Junge«, sagte der gute alte Mond, »hast du noch nicht genug?«
»Nein!« schrie der kleine Häwehnann, »mehr, mehr!« und - hast du
nicht gesehen! fuhr er dem alten guten Mond quer über die Nase, daß er
ganz dunkelbraun im Gesicht wurde.
»Pfui!« sagte der Mond und nieste drei Mal, »alles mit Maßen!« und damit
putzte er seine Laterne aus, und alle Steme machten die Augen zu. Da
wurde es im ganzen Himmel auf einmal so dunkel, daß man es ordentlich
mit Händen greifen konnte.
Da guckte endlich unten, ganz unten am Himmelsrande ein rotes rundes
Gesicht zu ihm herauf, und der kleine Häwelmann meinte, der Mond sei
wieder aufgegangen. »Leuchte, alter Mond, leuchte!« rief er, und dann
blies er wieder die Backen auf und fuhr quer durch den ganzen Himmel und
gerade darauf los. Es war aber die Sonne, die gerade aus dem Meere
heraufkam. »Junge«, rief sie und sah ihm mit ihren glühenden Augen ins
Gesicht, »was machst du hier in meinem Himmel?« Und - eins, zwei, drei!
nahm sie den kleinen Häwelmann und warf ihn mitten in das große Wasser.
Da konnte er schwimmen lernen.
Ja und dann? Weißt du nicht mehr? Wenn ich und du nicht gekommen wären und den kleinen Häwelmann in unser Boot genommen hätten, so hätte er doch leicht ertrinken können!
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