Dienstag, 16. Mai 2017

Ernst Kreidolf: Lenzgesind


Ernst Kreidolf Selbstbildnis
Ernst Kreidolf (1863–1956), German-born poet and illustrator. As a young man, Kreidolf studied lithography and later taught the craft. He left Germany for Switzerland during World War I. While he produced lifelike portraits, still-lifes (mostly of flowers), and a few religious pieces, he is best remembered for his more imaginative work. Kreidolf was fascinated with mythology, a subject on which he often spoke, and he originated his own myths around the spirits he saw in nature. In a style both spare and fantastic, he created a world in which every plant is animated and every garden inhabited by beneficent fairies.(The Oxford Encyclopedia of Children's Literature)
***
Es ist Mai! Zeit für Ernst Kreidolfs Lenzgesind! Das Bilderbuch erschien 1926.


 Konzertpromenade

 Da steht ein Wäldchen
An sonnigem Ort.
Da singt eine Geige,
Da klingen die Harfen,
Es schlägt eine Pauke,
Und wird musiziert
Fort und fort.

Bei den Stiefmütterchen
 Sag, weshalb heissen die Stiefmütterchen so?
Und sind doch so liebliche Blümchen?
Sie blicken so selten heiter und froh,
Die armen, die guten Mühmchen.

Die gestörte Mahlzeit
 Herr Schwalbenschwanz sitzt im Gartenhaus
Zu früher Morgenstunde.
Bereitet ist der Honigschmaus,
Er führt den Löffel zum Munde,
Und schmunzelt unter seinem Hut:
Wie schmeckt der Honig gut!

Der Raupenball

 Wer trägt vom Lenzgesinde schönere Kleider
Als Raupen, bunt, gestreift und pelzverbrämt?
Wie sie so prächtig liefert uns kein Schneider.

Frau Schnecke
 Die Schnecke strickt silberglitzrige Spuren,
Um nach der Wanderung über die Fluren
Vor Kälte und Regen und nächtlichen Winden
Die schützende Heimat wieder zu finden.

Schmetterlingsfasching
 Am Maskenball, beim Mummenschanz,
In Samt und üpp'gen Farbenglanz,
Groteske Fratzen vorm Gesicht -
Wer sind sie wohl? Ich kenn sie nicht!

Auf der Bergwiese
 Stiefmütterchen klein 
Am Bergesrain,
Was tut ihr da im Sonnenschein?
Wir sehen zu den Käferlein!

Das tote Käferlein
 Das grüne Käferlein ist tot.
Es fiel vom Baum im Morgenrot.
Wollt sich an frischen Blättlein laben -
Nun müssen sie das arme Ding begraben.

Blumenopfer

Sommersonne bleicht die schimmernden Gewänder.
Blumen senken ihre Häupter welk und matt -
Lassen müde fallen Blatt um Blatt,
Und geopfert werden Festgeschmeid' und Bänder.

Über den Wassern

 Das Wasser, das Wasser
Ist Spiegel und Flut:
Es bäumt sich in Stürmen
Und lächelt, wenn's ruht.

Die Wundervögel

 Die Blumen auf den fahlen Matten,
Sie nicken ein im scharfen Wind.
Ins Tal der Föhn legt dunkle Schatten,
Die nahen Winters Boten sind.

Die Fahrt ins Licht

So wie nun alle Lust und Freuden
Am Ende von uns gehn und scheiden,
Wozu, wohin? wir wissen's nicht -
Es ist die stille Fahrt ins Licht.
Zurück, woher sie sind gekommen?
Zum Urquell hin, dem sie entnommen? -


Deckelbild der Erstausgabe

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen